Siebter Vortrag, der vom Meister
Vor der Jugendokkultklasse in Sofia
Am Mittwoch dem 12. April 1922 gehalten worden ist.
Stilles Gebet
Jeder Schüler las das Wort, das er aufschreiben sollte. Es sind dies die folgenden: Geh, Harmonie, absolut, Natur, hoffen, Synphonie, Beständigkeit, Schüler, Frieden, Höhe, Kristall, Aufbau, Held, Eifer, können, schön, Stern, Licht, Kind, Schweigen, sich aufopfern, streben, vorzüglich, Gott kommt, gegenseitige Hilfe, Lotos, Liebe, Demut, Wärme, Vollkommenheit, Quelle, Reinheit, Brot, Heiterkeit, Helligkeit, lieben, Erleuchtung. Das Erste der gelesenen Wörter war die Imperativform des Verbes “gehen” – Geh! Dieses Verb ist mit der Bewegung verbunden. Also, ihr sollt das Gesetz der Bewegung studieren. Das Gehen ist der
erste Wunsch, welcher alle anderen Wünsche und Bestrebungen in Bewegung setzt. Könnt ihr euch noch an den ersten Wunsch, an den ersten Gedanken in eurer Kindheit erinnern? Der erste Impuls des neugeborenen Kindes ist das Atmen. Gleich bei der Geburt beginnt es zu atmen, weil das Gesetz der Bewegung ein Gesetz der astralen Welt ist. Mit dem ersten Einatmen beginnt das Kind zu weinen. Das zeigt, dass es in die physische Welt gekommen ist, welche nicht besonders harmonisch ist. Und deshalb weint das Kind. Die Erwachsenen weinen auch, weil sie in einer unharmonischen Umgebung leben. Wir wollen aber unsere Aufmerksam -keit auf das bewusste Leben, das sich jetzt zeigt, lenken. Um dieses Leben zu verstehen, muss der Mensch auf die Erde kommen. Also, jede Seele geht von Gott mit dem Ziel aus, das Leben und sich selbst kennenzulernen. Das ist die erste Anregung, die erste Bewegung im Bewusstsein. Sich selbst zu erkennen heisst, das Göttliche zu erkennen. Das Erkennen des Göttlichen heißt das Hereinkommen des Grenzenlosen in den Rahmen oder in die Grenzen der Begrenztheit. Das ist nichts anderes als Selbstbestimmung.
Jede Grenze schafft die Formen und jede Form enthält in sich eine Richtung der Bewegung oder einen Weg der Evolution, auf welchem das Ego, das ich, oder die menschliche Seele gehen muss, um sich zu vervollkommnen. Also kommt die menschliche Seele auf die Erde herab, um stark zu werden. In den slavischen Sprachen beginnen die Wörter stark und schwach, mit ein und demselben Buchstaben. Das Wort “schwach” bedeutet ein Gesetz der Veränderungen. Das Wort “stark” hat die Bedeutung eines Gesetz der ständigen Grössen, das heisst jener Grössen, die sich nicht verändern. Mit anderen Worten spricht die Stärke von einer Erweiterung und die Schwäche von einer Verminderung.
Ich frage, wie ihr aus eurer Sicht euer Leben auf Erden deutet. Warum seid ihr auf die Erde gekommen? Ihr werdet verschiedene Antworten geben. Ihr werdet sagen:”Wir sind auf die Erde gekommen um stark zu werden, um Gott kennenzu -lernen,” u.s.w. Ihr werdet Gott dann kennenlernen, wenn ihr nicht nur äusserlich stark werdet, sondern auch innerlich. Wenn das Kind keine Kraft hat, um seine Mutter zu umarmen, um von ihr Milch zu bekommen, wird es sie dann kennenlernen? Es kann sie nicht kennenlernen. Also in jedem Gedanken, in jedem Gefühl, in jeder Bewegung, sogar in der kleinsten, verbergen sich immer unerschöpfliche Kräfte, welche sich in der Zukunft entwickeln werden. Nach dem Gesetz der Kontraste, bedeutet die Schwäche - Stärke. Unter einem schwachen Menschen versteht man einen, der sich mit den kleinsten Grössen bekanntgemacht hat, mit den kleinsten Äusserungen im Leben. Das kleine Kind zum Beispiel versteht im Augenblick seiner Geburt seine Schwäche, jedoch in dieser Schwäche birgt es seine Stärke.
Ich bringe euch jetzt auf dieses Gesetz, denn die Menschen fühlen sich in moralischer Hinsicht schwach und sagen:”Wir sind schwach, wir haben Laster, wir sind begrenzt und können nicht auf dem geistigen Weg gehen.” Das zeigt, dass ihr in geistiger Hinsicht noch kleine Kinder seid und von euren Müttern noch gebadet werdet, weil ihr oft unmoralisch handelt. Die Mutter muss für das Kind mehrere Jahre lang sorgen, sie soll es baden, füttern, anziehen, lehren, bis es letztendlich so erwachsen geworden ist, dass es zu einem grossen Sohn, oder zu einer grossen Tochter wird, die ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen beginnen. Das kleine Küken aber, ist schon zwei bis drei Tage, nachdem es aus dem Ei herausgekommen ist, fähig, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Dies besagt nun nicht, dass der Mensch schwächer als das Küken ist, sondern die Materie, in die er eingewickelt ist, die ist dichter als die des Kükens, infolge dessen er die Begrenzungen der Materie nicht allein überwinden kann. Deshalb sollt ihr in eurem Verstand den Gedanken halten, dass ihr jede Schwierigkeit zu überwinden vermögt.
Für die Tatsache, dass der Mensch die Schwierigkeiten nicht selbst überwinden kann und schwach ist, gibt die okkulte Wissenschaft zwei Erklärungen. Als manche Menschen in die dichte Materie heruntergestiegen sind, haben sie vergessen, dass sie vom Unbegrenzten stammen und sie wissen nicht mehr, dass sie über Kräfte verfügen, die sie entwickeln sollen. Andere aber, die aus dem Begrenzten stammen, irrten sich, als sie meinten, dass sie alles machen könnten und gar allmächtig seien. Infolge dessen sind sie gefallen und haben auch das noch verloren, was sie gehabt haben. Heute halten sich die einen, wie auch die anderen für zu schwach und unfähig, mit den Bedingungen des Lebens fertig zu werden und sie verzagen. Um euch nun von den Illusionen des Verstandes und von dem Gedanken, dass ihr alles wüßtet, zu befreien, stellt euch die Frage, was heute auf der Sonne passiert und beantwortet sie euch. Stellt euch dann noch eine Reihe von Fragen, z.B. was auf dem Mond passiert, was im Universum vor sich geht, was der Mensch darstellt Wenn sich jemand für eine Gottheit hält, muss er bereit und in der Lage sein, diese Fragen zu beantworten. Die Gottheit weiß alles. Wenn ihr auf diese und noch viele andere Fragen nicht zu antworten vermögt, werdet ihr gewahr, dass ihr als Mensch nur einen kleinen Teil vom gemeinsamen Bewusstsein, vom Bewusstsein des Daseins darstellt.
Ich sage, indem ihr auf diese Weise überlegt, geratet ihr zur Frage der moralischen Entwicklung des Menschen. Aus okkulter Sicht hängen die morali -schen Kräfte des Menschen von der ursprünglichen Energie seines Organismuses ab. Die Inder nennen diese Energie “Prana.” Deshalb muß man das Gesetz des Pranas studieren. Der starke Schüler macht immer mehr Fehler, als der schwache. Die Form der gegenwärtigen Menschen ist nichts anderes, als Prana in Bewegung. Wenn das Prana nicht gleichmäßig im Körper verteilt ist, entstehen die Krank -heiten. Wenn das Prana nicht gleichmäßig in den Gefühlen verteilt ist, entsteht die Unzufriedenheit. Wenn das Prana nicht gleichmäßig in den Gedanken verteilt ist, entsteht die Sinnlosigkeit.
Jetzt gebe ich euch eine Übung, die ihr dreimal täglich machen sollt – morgens, mittags und abends vor dem Schlafengehen. Die Hände nach vorne, horizontal, ausstrecken, mit den Handflächen nach unten zur Erde. Die beiden Daumen und die Zeigefinger berühren sich dabei so, dass sie ein schönes Dreieck bilden. Danach winkeln sich die Ellenbogen langsam seitwärts ab, wobei ein Halbkreis gebildet wird. Die Handflächen drehen sich jetzt nach oben. Jetzt biegen sich die Arme langsam an den Ellenbogen ab und die jeweils ersten drei Finger fassen den oberen Teil des Ohres. Der Daumen ist vorne und die anderen beiden Finger hinten. Diese jeweils drei Finger bewegen sich am Rand des Ohres bis zu seinem unteren Teil. Dabei befindet sich der Daumen am Rand des Ohres, der Zeigefinger auf der Hinterseite und der Mittelfinger auf des Ohres Vorderseite. Danach strecken sich die Arme wieder horizontal nach vorne aus. Diese Übung macht man zehnmal nacheinander und danach lässt man die Arme seitlich herabsinken, wobei die Daumenspitze die Zeigefingerspitze berührt und zwar an beiden Händen.
Indem ihr den oberen Teil des Ohres fasst, schafft ihr in euch eine moralische Anregung. Der untere Teil des Ohrs bezieht sich auf den menschlichen Magen. Wenn ihr diese Übung ausführt, werdet ihr sehen, was für ein Resultat ihr haben werdet. Ihr sollt diese Übung machen, ohne herumzuphilosopieren, ohne herum -zuwühlen, nur beobachten, indem ihr das notiert, was für Resultate bei euren Gedanken, Gefühlen und Handlungen hergestellt werden. Solange etwas nicht gemacht wird, kann es keinen Nutzen bringen. Ihr sollt die Übungen, die ich euch gebe, solange ausführen, bis ihr ein Resultat habt. Ihr sollt sie als heilige Übungen betrachten, und sie solange ihr sie selbst nicht gemacht und ein Resultat davon gehabt habt, keinem Aussenstehenden zeigen. Indem ich sage, dass ihr diese Übun -gen niemandem zeigen sollt, sollt ihr nicht in die Lage Adam und Evas geraten und von der verbotenen Frucht nur deshalb probieren, weil das verboten ist.
Indem ihr jetzt diese Übung macht, sollt ihr folgende Regeln beachten: Ihr sollt euch setzen, volle Ruhe bewahren und die Brust herausstrecken. Während der Übung soll euer Verstand konzentriert sein und soll der Bewegung der beiden Arme folgen. Der Sinn der Übung besteht darin, dass sich der Verstand konzentriert und den Bewegungen der beiden Arme folgt. Diese Konzentration ist leicht, weil der Verstand von der physischen in die astrale Welt übergeht. Er steigt nicht höher, als in die astrale Welt. Wenn der Verstand in eine fernere Welt reisen würde, könnte er das nicht aushalten Bei dieser Übung und auch bei allen anderen, ist es gut, die Stimmung zu notieren, in der ihr euch befindet. Ihr sollt diese Übung also dreimal täglich machen. Morgens vor oder nach dem Gebet, wann ihr besser gelaunt seid, vor dem Mittagessen und am Abend, vor dem Schlafengehen. Wenn ihr diese Übung macht, sollt ihr darauf achten, dass euch niemand sieht. Wenn jemand aus der Familie euch fragt, was ihr da macht, sagt einfach, dass ihr übt. Aber wenn sie sehr darauf drängen, dass ihr ihnen näheres sagt, so sollt ihr schweigen. Wenn sie auch dann noch weiter fragen, sagt: Ich habe in einem Buch gelesen, dass in man -chen Fällen es das Beste ist, zu schweigen, was der Mensch machen kann.
Wenn das so ist, möchte ich jetzt vor euch das Beste machen, nämlich schweigen.
Die Übungen die ich der Klasse gebe, sind winzig. Ihr sollt keine grossen Ergebnisse von ihnen erwarten, um dann nicht enttäuscht zu sein. Diese Übungen sind so unbedeutend, wie es die ersten Linien sind, mittels derer der Maler seine Skizzen anfertigt. Wenn er eine Nase zeichnen will, macht er zuerst eine senkrechte Linie, welche die Illusion von einer Nase gibt. Danach zeichnet er die krummen Linien der Nase und zum Schluss die Schatten. In dieser Hinsicht ist die Übung, die ich euch gegeben habe, solch eine gerade Linie, welche noch einige krumme Linien, einige Schatten usw. braucht. Diese Übung lehrt euch, euch zu konzentrieren und gehorsam zu sein. Zu diesem Zweck sollt ihr einerseits lebensfroh und andererseits ehrlich und aufrichtig euch selbst gegenüber sein. Das sind Zustände, die dem Prana eigen sind. Der eine Zustand bezieht sich auf die mentale Ebene, der andere auf die physische Ebene und die Bewegung, die zwischen diesen beiden Zuständen besteht, berührt das Herz, also die astrale Welt. Macht diese Übung noch heute abend vor dem Schlafengehen. Während der Übung sollt ihr tief atmen, um das lebenspendende Prana einzuatmen.
Das Prana hat verschiedene Zustände. Es ist physisch, psychisch und mental. Ohne Prana kann sich der Gedanke nicht bilden, die Gefühle können nicht entstehen und auch der Wille kann nicht wirken.
Wenn ich sage, dass das Prana die Ursache zum Schaffen und Äußern der Gedanken, Gefühle und der Handlungen des Menschen ist, so heißt das nicht, dass alle Menschen die gleichen Gedanken und Gefühle haben sollen. Jeder Mensch wird je nach seiner Entwicklung das empfangen, was er braucht und das äußern, was er kann. Z.B. wenn sich eure Hände am unteren Teil des Ohres befinden, werden einige von euch Milch wünschen, andere gekochten Weizen, oder Wahlnüsse, oder noch etwas Anderes. Es werden verschiedene Sachen zum Essen durch euren Verstand gehen. Ihr sagt, dummes Zeug ist das. Unserer Meinung nach, sind nur die unerreichbaren Dinge dumm. Wir halten z. B. den Wunsch eines armen und ungebildeten Menschen, der König werden will, für dumm. In der Zukunft, nach einem langen Entwicklungsweg, kann er König werden, aber heute ist dies undenkbar. Sodass dann etwas dumm ist, meinen wir, wenn es heute unerreichbar ist, aber einmal, in der Unendlichkeit, kann sich dieses dumme Zeug realisieren und kann erreichbar werden. In der bulgarischen Sprache hat der Buchstabe G, womit das Wort “dumm” auf bulgarisch beginnt, oben einen Strich, der ein Zeichen der Unendlichkeit darstellt.
Die gegenwärtigen Menschen haben einen Großteil des ursprüchlichen Pranas ihres Organismusses verloren und deshalb sind ihre Bewegungen schwach. Damit sich die Menschen verstehen und lieben können und damit sie lernen können, müssen die Schwingungen ihrer Bewegungen gleich, d.h. gleichartig sein. Die verschiedenartigen Schwingungen der menschlichen Bewegungen sind die Ursache, dass sie sich trennen und sich gegenseitig nicht verstehen. Zur Zeit sind das Gleichartige Schwingungen für all jene Übungen, die euch gegeben werden. Heutzutage verlangt man von allen mehr Übungen und weniger Philosophie. Danach werdet ihr in die andere Situation kommen, nämlich mehr Philosophie und weniger Übungen.
Als wir die Wörter, die ihr als Hausaufgabe geschrieben habt, gelesen haben, wurde sichtbar, dass die erste Hälfte der Wörter harmonischer, als die zweite war. Das ist auf einen der charakteristischen Züge des Bulgaren zurückzuführen. Er beginnt gut, es geht dann so weiter, bis er an einen Punkt gelangt, wo Hindernisse entstehen und er endet dann schlecht. Die Disharmonie in der zweiten Hälfte der Wörter zeigt, dass das Wissen noch zu keinem Objekt eures Verstandes geworden ist. Ihr lernt nur so viel, bis man sagt, dass ihr etwas wisst. Es gibt also in eurem Verstand etwas, das noch nicht aufgeweckt ist. Das Unerweckte befindet sich in eurem Bewusstsein und zwar seid ihr euch noch nicht dessen bewusst, dass ihr Bedingungen habt, um zu wissen und um stark zu sein. Stark zu sein bedeutet nicht, gegenseitig Gewalt auszuüben.
Es besteht eine Regel: Wer gegen sich selbst Gewalt anwendet, der wird auch gegen andere Gewalt anwenden. Wer sich geistig erhöht, der wird auch die Anderen geistig erhöhen.
Stilles Gebet
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