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 Der Glaube

„Jetzt aber bleiben diese drei: Glaube, Hoffnung und Liebe“ (Korinther 13)

Mein heutiger Vortrag wird das zweite Prinzip im menschlichen Leben behandeln — den Glauben.

Ich nehme das Wort „Glaube“, denn wir haben kein besseres Wort dafür. Ich nehme dieses Wort im allerweitesten Sinn und mache einen Unterschied zwischen „Glaube“ und „das Glauben“. In dem Glauben kann es keinerlei Widersprüche geben. Der Glaube schließt alle Zweifel aus. Das Glauben läßt eine Menge Zweifel zu. Du kannst glauben, daß du gut werden wirst, aber du kannst auch glauben, daß du schlecht werden wirst; du kannst glauben, daß du leben wirst, doch kannst du auch glauben, du wirst sterben. Heutzutage ist die Welt voller verschiedener Glaubensansichten. Doch dieses Glauben hat weder die Rettung gebracht, noch die Freiheit, noch die Liebe, die wir erwarten, denn — es ist eben nur ein Glauben. Ich sage nicht, daß das Glauben etwas Schlechtes ist, doch es ist nur das Vorwort zu dem echten Glauben. Ich werde den Glauben von vier Standpunkten aus betrachten, und zwar: Als unter- bewußtes Streben des Herzens, als bewußtes Gefühl der Seele, als selbstbewußte Kraft des Verstandes und als überbewußtes Prinzip des Geistes, oder — wissenschaftlich ausgedrückt — als Streben des Unterbewußtseins, als Gefühl des Bewußtseins und als Prinzip des Überbewußtseins. Achtet jetzt auf diese Wechselbeziehungen. Ich werde über diese Frage prinzipiell sprechen. Ich habe nicht die Absicht, irgendeinen begrenzten Fall, irgendeine begrenzte Lehre zu vertreten. Ich möchte nur die Wahrheit sagen, so wie sie ist.

Der Glaube ist ein Prinzip des menschlichen Verstandes. Das heißt, der Anfang des menschlichen Verstandes — das ist der Glaube, oder anders ausgedrückt, der Verstand — ist aufgebaut auf den Grundlagen des Glaubens. Der Glaube verbindet den menschlichen Verstand und Intellekt mit der Harmonie in der Natur und gibt ihm einen Anstoß zur Entwicklung und zum Studieren der Gesetze des Universums. Folglich muß jeder, der einen aufgeklärten Verstand haben möchte, der die Natur studieren möchte, bestrebt sein, in Verbindung mit der lebenden Natur zu treten, bestrebt sein, den Glauben zu haben. Ich gehöre nicht zu jenen, die sagen, daß man sich nur in eine Richtung entwickeln muß, nur in eine Richtung streben muß. Philosophisch gesagt, alle Richtungen ergeben eine wahre Richtung, die die Wahrheit ist. Deshalb müssen wir nach allen Richtungen streben, denn vom Standpunkt des Glaubens sind alle Richtungen gut.

Vielleicht liegen in manchen dieser Richtungen auch Leiden, doch sie sind ein Weg zur Besserung. Wenn diese Leiden über uns kommen, so zeigen sie, daß wir in der Vergangenheit die göttlichen Gesetze verletzt haben, den Gleichklang der göttlichen Welt, worauf das Böse in der jetzigen Welt entstanden ist. Und da wir das nicht verstehen, fragen wir uns andauernd, woher dieses Böse kommt? Wenn ihr ein elektrisches Kabel durchschneidet, in dem ständig elektrischer Strom fließt, und wenn ihr es anfaßt, wißt ihr, was mit euch passieren wird? Dieses Kabel ist ungefährlich, solange es in Ruhe gelassen wird, doch wenn ihr es durchschneidet, wird es gefährlich. Es gibt nicht nur diese Art, die Dinge zu studieren, es gibt auch noch eine andere. Wenn ihr euren Verstand in Harmonie bringen wollt, müßt ihr unbedingt den Glauben in euch einlassen. Jemand wird entgegnen: „Mit dem Glauben geht nichts.“ — Alles geht mit dem Glauben, doch ohne den Glauben geht gar nichts. Solange ihr den Glauben habt, wird euer Verstand gesund sein, stark und genial, er wird alles tun können. In dem Augenblick, in dem ihr den Glauben verliert, wird sich euer Verstand entzweien, wird Sprünge bekommen, und ihr seid verloren.

Der Glaube muß im Herzen beginnen, in eurem Unterbewußtsein; wenn du am Abend zu Bett gehst, laß folgenden Gedanken in deinen Verstand ein: Der Glaube, in dem ich lebe, wird die göttliche Harmonie in die Bestrebungen meines Herzens hineintragen. Lege dich nieder mit diesem Gedanken, in vollem Vertrauen auf dein Unterbewußtsein. Philosophiere nicht, denke nicht an die Folgen.

Wenn du ein Weizenkorn in die Erde säst, denke nicht darüber nach, wie es wachsen wird. Es wird selbst diese Arbeit tun, von sich aus. Wenn du dich daneben hinsetzst und nachdenkst, wie es wachsen wird, ob es wachsen wird oder nicht, wirst du beginnen, es aufzudecken und wieder zuzudecken und seiner Entwicklung schädlich sein. So nehmen auch manche Menschen einen göttli. chen Gedanken auf, doch dann beginnen sie darüber nachzusinnen, ob er göttlich ist oder nicht. Laßt diesen Gedanken in eurem Bewußtsein wachsen! Solange ein Gedanke nicht gereift ist, nicht Frucht getragen hat, die Frucht nicht gereift ist, solange stoßt ihn nicht um. Man kann vorher nicht erkennen, ob er göttlich ist oder nicht. Man kann nicht die göttliche Wahrheit erkennen, die in ihm liegt. Deshalb ist etwas nötig, Zeit. Die Zeit ist ein Ausdruck der Wahrheit. Wo es keine Zeit gibt, gibt es auch keine Wahrheit. Die Lüge verkürzt die Zeit immer. Wir glauben nicht an die kurzen Fristen, sondern nur an die langen Fristen. Wir halten die lange Frist für eine Kreisbewegung der Energie innen in der Seele.

Die zweite Erscheinungsform des Glaubens ist wie ein Gefühl im Bewußtsein. Das heißt: In einem bestimmten Augenblick mußt du fühlen, daß dein Gedanke kein Gedanke sein kann, solange er nicht in die materielle Welt projiziert ist. Dieser Gedanke muß eine richtige Form erhalten, denn das richtige Denken ist nichts anderes als die Übereinstimmung deiner Gedanken mit den Gesetzen, in denen du lebst. Wenn dein Gedanke keine richtige Form bekommt, wird er einer häßlichen Frau ähnlich sein — und die häßlichen Menschen lieben wir nicht. Folglich rufen die häßlichen Formen in unserem Verstand einen unharmonischen Eindruck hervor. Die Schönheit ist eine Eigenschaft des Gedankens; deshalb muß der Gedanke in uns schön sein. Wenn du nicht fühlst, daß dein Gedanke richtig ist, wirst du beginnen, ihn mit anderen Leuten zu überprüfen, doch damit wirst du in eine andere Misere geraten. Warum? Weil auch sie in der gleichen Lage sein können. Wie wirst du dann prüfen können, ob dein Gedanke richtig ist oder nicht? Folglich ist das erste, das du bedenken mußt, folgendes: Du mußt daran glauben, daß deine Seele die Dinge richtig fühlt. Die Seele lügt niemals! In der Seele des Menschen gibt es keinerlei Lüge!

Die dritte Erscheinungsform des Glaubens liegt in der Kraft des Gedankens. Euer Gedanke muß eine Kraft haben. Innen drin muß eine Bewegung und Ausbreitung herrschen, d.h. er muß produktiv sein, damit du jede Arbeit damit verrichten kannst. Ihr könnt die Kraft eures Gedankens ausprobieren. Wenn euer Gedanke richtig ist und sich in Harmonie mit allem befindet, d.h. wenn es eine wahre Bestrebung in eurem Herzen gibt, wahre Gefühle in eurer Seele, eine richtige Verbreitung im Verstand, dann könnt ihr, wenn ihr irgendeine Wunde an der Hand habt, sie schnell heilen, indem ihr euren Gedanken auf sie konzentriert: in fünf bis zehn Minuten oder — wenn die Wunde größer ist — in ein bis zwei Tagen.

Alle Katastrophen, die jetzt sowohl im gesellschaftlichen als auch im politischen und wissenschaftlichen Bereich geschehen, sind Folgen dieser Zerstörung in unserem Verstand, weil er nicht den Glauben zur Grundlage des Lebens gemacht hatte. Wir leben in dieser Welt mit gewissen Glaubensansichten. Woher kommen alle Katastrophen in der Welt? — Sie kommen daher, daß wir an Gott gezweifelt haben, an dem mächtigen Gesetz der Liebe und daß wir gesagt haben, daß Gott nicht Liebe ist und daß der Mensch des Menschen Wolf ist. Und diesen Wolf hat Gott geschaffen. Was hat dann das Leben für einen Sinn, wenn wir das Erhabenste auf der Welt einen Wolf nennen? Und der Wolf ist die Verneinung der Liebe, die Verneinung des Glaubens. Folglich kann jeder Mensch zum Wolf werden. Sobald ihr die Liebe verliert, werdet ihr wie ein wildes Tier, denn diese sind die negativen Eigenschaften der mächtigen Tugend, die wir Liebe nennen.

Ich sage: „Du hast die Liebe verloren, deshalb bist du ein Wolf.“ — Wie werde ich wieder gut? — Wenn du die Liebe in dein Herz einläßt. Sie wird dir den Glauben bringen, und du wirst dich zu den Engeln erheben. Bewaffnet euch mit dem Glauben, nicht mit verschiedenen Glaubensansichten, denn Glaubensansichten sind ein Resultat der Vergangenheit. Die gegenwärtigen Religionen sind ein Versuch zur Besserung der Menschheit. Alle großen Lehrmeister kommen zu dieser Menschheit, i.im sie emporzuheben, um ihr zu helfen, denn sie sind Diener des mächtigen göttlichen Gesetzes. Doch ihre Nachfolger haben dieses Gesetz verdreht, sie haben nur seine äußere Seite verwirklicht; so haben sie das ganze Leben verdreht.

Jetzt müßt ihr den Glauben als Prinzip kennenlernen, das alle Widersprüche des Lebens in Einklang bringt. Ich werde euch zeigen, wie die Widersprüche entstehen. Zum Beispiel: Zwei junge Leute lieben sich. Wenn die Liebe als Prinzip zwischen beiden auftritt, sind beide bereit, ihr Elternhaus zu verlassen. Wenn ihr erstes Kind geboren wird und die Mutter beginnt, es zu nähren, und wenn sie sieht, daß die Umweltbedingungen ungünstig sind, beginnt auch die Liebe zwischen ihnen ständig abzukühlen. Warum? Weil sie die Liebe in ihrem tiefsten Sinn nicht verstanden haben. Wenn sich ein Vogel ein Nest baut, so sucht er nur solche Zweige aus, die sogar vom schwächsten Wind verschont bleiben. Doch die heutigen Menschen sagen: Wir können auch ohne Nest, ohne gute Lebensbedingungen unsere Kinder gebären. Und wirklich: Sie gebären Kinder, und dann stecken sie diese Kinder in das Waisenhaus. Das ist eine Kultur der Kuckucksvögel: Sie legen ihre Eier in fremde Nester.

Die heutigen Menschen sagen: Man kann auch ohne den Glauben leben. Nein, im Unglauben kann man nicht leben. Der Unglaube und der Glaube, das sind zwei Pole, denn der Ungläubige kann gläubig werden, doch ein Mann des Glaubens kann nicht polarisiert werden. Der Glaube ist verbunden mit dem menschlichen Verstand, mit dem Intellekt des Menschen, und der Verstand des Menschen ist verbunden mit der Atmung. Folglich kann jener, der keinen Glauben hat, auch keine richtige Atmung haben. Die klugen Leute atmen gleichmäßig und harmonisch. Der Gedanke, der auf die Atmung einwirkt, ist richtig. Betrachtet eine schöne Frau oder einen schönen Mann, die gesund sind an Körper, Geist und Willen: ihr werdet die Schönheit und Gleichmäßigkeit ihrer Atmung bemerken. Wer nicht richtig atmet, denkt auch nicht richtig.

Wodurch unterscheidet sich ein Mensch des Glaubens von den anderen, die keinen Glauben haben? Dadurch, ob er Angst hat. Im Glauben gibt es keine Angst.

Nehmt den Glauben in euch auf und beginnt damit zu arbeiten. So werdet ihr euren Glauben im Unterbewußtsein, im Bewußtsein, im Selbstbewußtsein und im Überbewußtsein betrachten. Wenn aus eurer Seele jeder Zweifel, jeder Haß und jede Lüge verschwunden sind und wenn sie an die Oberfläche getreten sind, so daß sie sichtbar sind, so sagt euch: Mit diesen Größen können wir nicht mehr arbeiten. Wenn ihr so sprecht, so heißt das, daß der Glaube in eurem Herzen die ersten Wurzeln gefaßt hat.

Der Glaube hängt mit dem rhythmischen Atmen zusammen. Deshalb bemühen sich die Hindus, rhythmisch zu atmen, wenn sie ihre Gedanken regulieren wollen. — Es ist beobachtet worden, daß bei tuberkulosekranken Menschen die Atmung schneller wird; der Rhythmus ihrer Atmung wird kürzer. Folglich ist der Energieaus. tausch bei ihnen nicht richtig, was bedeutet, daß es zwischen dem Glauben und dem Gedanken einen Kampf gibt. Wodurch entsteht Tuberkulose? Entweder durch Angst oder durch Haß. Jedes junge Mädchen kann tuberkulös werden. Nimmt man ihr den Geliebten und jede Hoffnung, einen anderen zu bekommen, werden in ihr Hemmungen und Haßgefühle entstehen, und sie wird an Tuberkulose erkranken. Sie sagt: „Ohne diesen Mann kann ich nicht leben.“ Darin liegt der Irrtum. Nein, dein Geliebter ist in deinem Verstand. Dieser ist deine Liebe. Wenn ein junges Mädchen einem jungen Mann aus der physischen Welt begegnet, der ihr zusagt, soll sie ihn heiraten; doch wenn sie keinem entsprechenden begegnet, soll sie lieber allein bleiben. Der erste Geliebte des Herzens ist der Verstand. Er wird dir Licht bringen. Dieser Geliebte wird auch äußere Formen finden, um in Erscheinung zu treten. Dann wird das Herz des jungen Mannes seine Geliebte finden, und es wird eine gute Verbindung werden. Wenn sich der Verstand des jungen Mannes mit dem Herzen des jungen Mädchens verbindet, entsteht daraus eine gute, echte Ehe in der physischen Welt.

Wenn die Atmung und das Denken des jungen Mannes richtig sind, entsteht in ihm eine richtige Strömung; ein Hellseher wird bei ihm beobachten, daß von der Hand dieses jungen Mannes zum Verstand ein Licht ausgeht. Wenn die Gefühle des jungen Mädchens echt sind, werdet ihr sehen, daß von ihr ein weiches, weißes Licht ausgeht, das von einem sehr dünnen rosa Schein umgeben ist. Wenn sich diese beiden Lichterscheinungen, die des jungen Mannes und des jungen Mädchens, vereinigen, werden sie die göttliche Strömung erzeugen.

Der Glaube ist ein lebendiges Prinzip des Verstandes. Nur durch den Glauben können wir alle Geheimnisse verstehen, die sich in der Natur befinden. Wenn wir diese Geheimnisse kennen, können wir unser Leben erneuern.

So müssen wir diese beiden Prinzipien — den Glauben und die Liebe — vereinigen. Wir müssen die Kraft des Verstandes, der Seele, des Herzens als Bestrebung des Herzens im Unterbewußtsein, als Gefühl der Seele im Bewußtsein, als Kraft des Verstandes im Selbstbewußtsein und als Prinzip des Geistes im Überbewußtsein miteinander verbinden und aus dieser Verbindung wird die neue Denkweise entstehen, die uns erneuern kann.

Und weil wir uns an der Grenze einer neuen Evolution der Welt befinden, haben wir bis jetzt eine Kehrtwendung von 180 Grad ausgeführt. Der Weg, den wir seit unserem Austritt aus der göttlichen Harmonie zurückgelegt haben, ist ein Weg des Niedergangs. Jetzt befinden wir uns auf dem Tiefpunkt und beginnen die zweite Hälfte dieses Kreises. Es steht uns bevor, den zweiten Winkel von 180 Grad zu durchlaufen. Das ist das Gesetz der Evolution. Die ursprüngliche Intelligenz, die in die Welt kommen muß, geht von Gott aus. Von diesem Ursprung geht jetzt eine neue Welle aus, die von den Menschen übernommen werden muß. Es heißt: „Gott hat dem Menschen die Seele eingehaucht.“ Jetzt gibt er wieder einen Hauch von sich. Das geschieht nur einmal in Tausenden von Jahren. Ihr werdet die beiden Prinzipien verstehen: daß Gott die allmächtige Liebe ist, die alle Lebewesen umfaßt, und daß sie allumfassende Intelligenz ist. Diese Intelligenz wird gemäß der Natur eines jeden Lebewesens in Erscheinung treten. Es muß Verschiedenartigkeit geben, doch in allen von uns muß diese göttliche Harmonie existieren.

Und so kann man ohne den Glauben dem Gott der Liebe nicht wohlgefällig sein. Die Liebe, das ist der Beginn des Lebens. Das Denken, das ist der erwachsene Mensch, der den Sinn des Lebens verstanden hat. Ohne den Glauben, ohne dieses Denken kannst du Gott nicht dienen.

Damit ihr rein, klug, erhaben seid, Helden in dieser Welt, müßt ihr den Glauben haben, durch den ihr alles erreichen könnt. Er ist eine Eigenschaft der Engel. Diese Eigenschaft müssen auch die Engel erreichen. Mit dem Glauben beginnt die neue Kultur. Wendet auch die Liebe und den Glauben in eurem Leben an. Sie beginnen mit der Zeit. Die Zeit ist der Rhythmus der göttlichen Harmonie, und die Harmonie ist der tiefste Sinn des Lebens.

Sofia, 6. März 1921

 

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