"Sehet zu, daß ihr nicht jemand von diesen Kleinen verachtet. Denn ich sage euch: Ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel" (Matth. 18:10)
Die Menschen beider Geschlechter streben im Grunde genommen nach großen Dingen und nach großartigen Sachen; einer eigenen inneren Schwäche nachgehend, verachtet man die kleinen Dinge. Ihr bekommt beispielsweise einen Groschen geschenkt. "Er ist ja nichts wert. Wären es 1 000, 10 000 oder 100 000 Lewa, das wäre schon was! Aber ein Groschen, nein – ich bin schließlich kein Bettler!", sagt ihr. Ihr bekommt eine Walnuß geschenkt. "Das ist aber eine Beleidigung für mich! Es wäre was anderes, wenn du mir 5 oder 10 Kilo gäbest, aber eine einzige Nuß! Du willst mich nicht etwa auf den Arm nehmen, lieber Herr?" Nach großen Dingen strebend sind wir auch bemüht, mit hochgestellten Persönlichkeiten Bekanntschaft zu machen, mit Königen, Ministerpräsidenten, Vorgesetzten, Gelehrten, Philosophen; die sozial niedriger Gestellten dagegen bezeichnen wir als 'Unwissende' und 'Tölpel'! Vom Anfang bis zum Ende unseres Lebens begegnet uns nichts anderes als Trachten nach den großen Dingen und Verachtung den kleinen Dingen gegenüber. Jesus aber spricht zu seinen Jüngern und warnt sie davor, die Kleinen zu verachten. Warum? "Verachtet sie nicht, denn ihr beleidigt dadurch ihre Engel, die ihnen im Himmel dienen. Verachtet ihr diese Kleinen, so verachtet ihr gleichzeitig auch die Engel, deren Kinder die Kleinen sind". Nehmen wir an, wir wollen ein Stück Holz zerspalten. Zunächst schnitzen wir kleine spitze Keile und erst, wenn diese ins Holz eindringen, machen sie für die großen Keile Platz. Wären die Keile groß und stumpf, wie könnte man schaffen, sie einzurammen? So wird von den kleinen Dingen der Weg für die großen freigemacht. Und der gesamte Entwicklungsprozeß in der Welt funktioniert von Anfang an dank dieser kleinen Dinge, die ihr verachtet; der Fortschritt im ganzen Weltall stützt sich auf sie. Man sagt, der Pflug ernähre die ganze Welt. Wenn der Pflüger den Acker gut gepflügt und dann bestellt hat, so wird auch der Ernteertrag gut sein. Dies alles stimmt, aber wir dürfen auch die Rolle nicht vergessen, die die Milliarden von kleinen Würmchen spielen – sie pflügen nämlich auch den Acker. Weil wir dazu erzogen sind, die Schwachen zu verachten, auch wenn wir uns zum christlichen Glauben bekennen, tragen wir jenem Wolf ähnlich unter dem Schafspelz unsere Wolfsinstinkte weiter mit, und zuweilen zeigen wir sogar unsere Krallen aus dieser unschuldigen Kleidung heraus. Unsere alten Gewohnheiten können wir auch nicht vergessen: sobald man uns einen Groschen weggenommen hat, reichen wir alsbald eine Klage deswegen beim Gericht ein. Hat jemand aber 5 000 oder 10 000 Lewa unterschlagen, sagen wir "Ah, Bravo!" zu ihm. Derjenige aber, der solche beträchtlichen Summen stiehlt, der hat sich dieses nicht auf einmal angewöhnt; zunächst hat er seinem Vater einen Groschen weggenommen, dann – fünf, später – zehn Groschen usw. Dieses Gesetz stimmt in jeder Hinsicht. Wenn wir die kleinen Ursachen verachten, so versäumen wir danach deren wichtigen Folgen und Konsequenzen in unserer Arbeit. Ich kann nun sagen, daß alle unsere jetzigen Mißerfolge, gemeinsam wie privat, mit der Verachtung der kleinen Dinge in der Vergangenheit zu erklären sind. Deshalb sagt auch Jesus Christus zu seinen Jüngern, sie dürfen "diese Kleinen" nicht verachten. Nun, wer sind eigentlich "diese Kleinen"? Jemand könnte sagen: das sind unsere Kinder. Es ist schon richtig, daß es unsere Kinder sind. Aber wenn wir dabei sind, das Gesetz Christi in Wirklichkeit einzuhalten, werden wir feststellen, daß es noch viele andere Sachen gibt, die ebenso nicht zu verachten sind. "Seht zu, daß ihr diese Kleinen nicht verachtet!" – Ich werde versuchen, euch den Sinn zu erklären, der in diesen Worten versteckt ist. Ein Inder hat seinem Sohn eine Walnuß gegeben und ihn diese Walnuß untersuchen lassen. Der Sohn knackte die Nuß und aß sie auf. "Was enthält die Nuß?", fragte der Vater später. "Nichts Besonderes – ein paar Kerne, die angenehm schmecken". Da stellte der Inder eine zweite Frage an den Sohn: "Hast du in dieser Nuß nichts anderes gefunden?" "Nein". – "Mein Sohn, in dieser Nuß ist eine enorme Kraft enthalten, und wenn du sie nicht aufgegessen, sondern sie in den Boden gesteckt hättest, so wäre daraus ein großer Baum gewachsen, und du hättest die Größe dieses kleinen Dinges sehen können, das der Keim eines großen Dinges ist". Gott schickt euch einen kleinen Gedanken, einen Apfelkern, und ihr sagt: "Es ist nichts", und ihr werft ihn hin. Gott aber sagt: "Fragt, was für eine Kraft er enthält, pflanzt ihn ein, und ihr werdet sehen, was für ein Baum daraus aufwachsen wird". Gerade dieser andauernden Verachtung der kleinen Gedanken haben wir unsere jetztige Lage zu verdanken, wobei wir immer wieder sagen, die Welt sei schlecht. Wir sind neunmalklug!
Christus sagt: "Verachtet nicht diese kleinen Dinge, strebt nicht nach den großen, lernt die große Kraft erkennen, die in diesen kleinen Dingen steckt und nutzt sie aus: Sie werden euch dazu verhelfen, die großen zu erreichen". Ihr eigenes Haus ist doch auch aus winzigen, millimeterkleinen, zusammengehörenden Körnchen aufgebaut. Auf diesen kleinen Dingen wie das Weizenkorn, die Früchte und die anderen Kleinigkeiten dieser Art beruht unser tägliches Leben. So steht es mit dem Körper, aber genauso auch mit dem Verstand. Gerade die kleinen Gedanken und Wünsche sind es, die Freude und Lebenslust bereiten. Manchmal lachen wir über die Kinder, daß sie kleine Gedanken beschäftigen; aber nicht die Gedanken, sondern die Körnchen, die zu der Entwicklung der großen Dinge beitragen, sind klein.
Und warum dürfen wir die Kleinen nicht verachten, warum dürfen wir nicht gegen das zweite Gottesgebot, "liebe deinen Nächsten", verstoßen? Jedes Lebewesen, das in irgendeiner Beziehung zu einem anderen steht und Nutzen bringt, dürfen wir nicht verachten. Dieses Wesen kann eine Taube, ein Huhn, ein Schaf, ein Ochse, ein Pferd oder aber ein Esel sein – über jedes von ihnen wird ein Buch geführt, in dem folgendes steht: heute habt ihr den Esel mit so und so viel beladen, morgen mit so und so viel. Im Buch wird alles regelmäßig notiert und wenn Gott dem Esel je 5 Lewa pro Tag berechnet, in ca. 100 Jahren, beispielsweise, wenn er euch das ganze Leben lang gedient hat, was seid ihr ihm dann schuldig? Eines Tages habt ihr ihm, jenem Schuldner gleich, 10 000 Talente zu zahlen. Ihr werdet sagen: "Ich kann mich nicht daran erinnern"; der Herr aber hat ganz genau eure Schulden im Buch notiert. Daher sind wir alle diesen Kleinen etwas schuldig. Unseren jetzigen Entwicklungsstand, unsere jetzigen Gedanken, unsere jetzigen Wünsche haben wir diesen Kleinen zu verdanken, von denen Christus spricht; also, wenn wir ihnen schuldig sind, müssen wir auch ihnen gegenüber Liebe empfinden, wir müssen wissen, daß sie für uns gearbeitet haben, folglich haben wir jetzt für sie zu arbeiten. Nebenbei möchte ich noch eine rätselhafte Angelegenheit erwähnen. Man hat mir ziemlich oft die Frage gestellt: Warum interessieren sich eigentlich die Engel so sehr für die Menschen. Was haben sie mit ihnen gemeinsam? Früher, als die Engel in derselben Situation gewesen sind, also Menschen wie wir auf der Erde waren, sind wir in der Situation der Tiere gewesen und haben ihnen gedient. Sie schulden uns viel und der Herr läßt sie es uns jetzt vergelten. Auch die ganz großen Engel verachten ihre kleinen Brüder nicht, weil diese für sie gearbeitet haben. Kann sein, daß ihr einen Diener habt, der ein einfacher Mensch ist, ihr könnt aber nicht wissen, in welcher Beziehung dieser Diener zu euch steht und warum Gott ihn in euer Haus geschickt hat. Die Beziehung zwischen euch besteht nicht erst seit heute; dieser Diener ist mehrmals bei euch, in eurem Haus gewesen. Ihr wißt es nicht, aber Gott weiß es. Möglicherweise hat er euer Leben schon mehrmals gerettet, folglich müßt ihr ihm eure ganze Liebe und Nachsicht schenken. All das begreifend sind wir in der Lage, dieses großartige Göttliche Gesetz zu verstehen – Liebe zu den Kleineren zu empfinden. Die Liebe ist nicht für die Großen, für die Engel, für die Heiligen bestimmt; sie ist den kleinen, unbedeutenden, armen und gescheiterten Brüdern zu schenken. Darum entwickelt sich bei der Mutter eine so starke Liebe zu dem Kind; sie liebt es kraft dieses Göttlichen Gesetzes, sie muß es einfach lieben. Sie liebt es eben so, einem inneren Feuer folgend, weil Gott in das Kind inkognito eingezogen ist. Ihr wollt Gott sehen, wenn Er aber in diesem Kind erscheint, sagt ihr: "Warum, o Gott, hast Du mir dieses Kind gegeben?" Jeden Tag ruft ihr nach Gott, jeden Tag jagt Ihn weg. Und ihr werdet noch für kluge Leute gehalten! Und ein solches Verhalten zeigt nicht nur ihr, sondern die ganze Welt! Der Herr prüft jeden Tag euren Verstand, um zu erfahren, wie groß eure Liebe zu Ihm ist und inwieweit ihr die Wahrheit sagt. Einst, als die Welt verdarb, gab es das Gerücht, Gott sei auf die Erde gekommen, um nachzuschauen, wie die Menschen leben. Diese sagten dann: "Im Himmel ist jetzt kein Herr, es gibt keinen, der uns kontrolliert: wir werden etwas lockerer leben". Gott sieht an einem Ort, daß ein Mann ein blindes Pferd an einen anderen verkauft, und dabei zu dem Käufer spricht: "Glaub mir bei Gott, das Pferd ist nicht blind". "Wenn du bei Gott schwörst, so muß ich dir das schon glauben", und dieser kauft das Pferd. Gott kommt an einem Haus vorbei und sieht, wie ein Mann seine Frau verprügelt. "Um Gottes Willen, verzeih mir!" Er verzeiht ihr. Diese Beiden stellen sich später im Himmel vor und sagen: "Wir haben auf der Erde, o Herr, Deinen Namen verkündigt!" So rufen auch die heutigen Menschen Gott nur, wenn sie ein blindes Pferd verkaufen oder ihre Frauen verprügeln wollen. Die Priester sagen: "Glaubt an Gott"; aber was kann Gott ihnen sagen? "Ich will euch nicht kennen, weil ihr meinen Namen benutzt habt, nicht etwa, um ihn zu rühmen, sondern, um die Leute irrezuführen, damit sie dieses oder jenes Verbrechen begehen und es anschließend decken". Gerade diese kleinen Sachen verursachen die Mißgeschicke. Ihr habt ein blindes Pferd, ihr wollt es im Namen Gottes verkaufen. Paßt aber auf und tragt immer dem Rechnung, was ihr tut. Wißt ihr, wer dieses blinde Pferd ist? Es ist euer Körper. Immer wieder reden die Menschen schlecht über ihn, immer wieder wird nur er bestraft; man sagt, er ist einzig und allein an allem schuld. Nicht der Körper ist aber schuldig. Einer betrank sich in der Kneipe und sagte danach: "Gebt ja meinem Pferd kein Futter!" Er sündigt, will aber das Pferd bestrafen. Verachtet nicht den Körper, verwechselt nicht das Fleisch mit euren Wünschen und Gelüsten. Von diesen letzteren solltet ihr euch lossagen und nicht von eurem Fleisch, widrigenfalls müßtet ihr euch eigentlich von allen euren Gedanken und allen euren Taten lossagen, die durch das Fleisch zustandekommen. Und ihr dürft euren Körper nicht plagen – diesen Tempel, den unser Herr geschaffen hat. Folglich müßt ihr sehr nachsichtig eurem Körper gegenüber sein, weil, solange er gesund ist, könnt ihr auch arbeiten.
Nun, wenn Christus von "ihren Engeln" spricht, so meint er jene klugen Wesen, die uns für unsere Taten zur Rechenschaft ziehen. Das, was wir 'Gewissen' nennen, sind in Wirklichkeit diese Engel, die in uns wohnen, und die sich jede einzelne Tat von uns, ob gut oder schlecht, notieren, und zu uns sagen: "Du hast richtig gehandelt" oder aber "Du hast schlecht gehandelt". Du beleidigst jemanden und sein Engel sagt dann zu dir: "Dein Verhalten war nicht richtig". Und du fängst an, dich zu entschuldigen: "Aber entschuldige, ich war ein bißchen nervös, unpäßlich, so verhält es sich nämlich". Daß du in einem solchen Zustand bist, hat nichts mit der Regel zu tun, daß du diese Kleinen nicht verachten darfst, auf denen die Göttlichen Gesetze beruhen.
Diese kleinen Sachen verursachen manchmal sowohl großen Nutzen, als auch große Schäden. Ein Wolf erzählte herum, er sei ein Recke und der König aller Tiere; der Fuchs sagte zu ihm: "Gib nicht so an, weil, käme eine Mücke in deine Nase, und würde sie dich stechen, könntest du ihr nichts antun". "Wenn ich aber mit der Nase blase, wird sie herausfliegen", antwortete darauf der Wolf. Eines Tages kam eine Mücke in seine Nase herein, stach und steckte ihn mit irgendwas an und der Wolf starb daran. Oft können die kleinen Ursachen auch in unserem Leben in dieser oder in jener Hinsicht unsere Entwicklung fördern oder aber sie beeinträchtigen. Die Ursachen, die uns gut und böse machen, sind an sich nicht schlecht; schlecht ist nur ihr Gebrauch. Nehmt die Luft als Beispiel: wenn ihr sie in die Lunge pumpt, wird sie das Blut reinigen, und man wird sich wohl fühlen nach dieser Blutreinigung. Pumpt ihr aber die Luft in den Magen, wird sie Bauchschmerzen bereiten. Eine und dieselbe Sache ruft in den beiden Fällen zwei gerade entgegengesetzte Wirkungen hervor. Wenn ihr Kohle im aufgelöstem Zustand dem Magen zuführt, wird sie ein Wohlgefühl verursachen, setzt ihr sie dagegen in die Lunge, werdet ihr vergiftet. Das, was Christus unter diesen kleinen Dingen also versteht, von denen Er sagt, wir dürfen sie nicht verachten, ist das gesamte Menschenleben, mit dem wir eng verbunden sind. Beispielsweise, wenn ich euch fragen würde, ob ihr sagen könntet, wie sich euer Körper, euer Herz, euer Verstand geformt haben, wüßtet ihr genau, wie diese Dinge entstanden sind? Als der Mensch einst auf der Erde erschienen ist, ist er nicht riesig gewesen, sondern ganz winzig; unter bestimmten Bedingungen hat er sich entwickelt und ist zu Mensch geworden. Jetzt ist er millionenmal größer, als er damals gewesen ist. Seine Kraft steckte am Anfang im Keim. So enthält auch in unserem modernen Leben der Gedanke eine große Göttliche Veranlagung und wenn er einen guten Boden findet, kann er unser Leben neu erwecken. Das, was wir 'Wiedergeburt' nennen, existiert als ein Gesetz des Geistes. Es ist jener innerliche Göttliche Prozeß, der das menschliche Herz, den menschlichen Verstand, die menschliche Seele, den menschlichen Geist erhebt und erneuert. Das ist ein Prozeß des Aufsteigens von unten nach oben. Und in diesem Göttlichen Bestreben wird unsere Erhebung, Erlösung und Rettung erarbeitet. Deshalb streben alle Wesen – von den größten bis zu den kleinsten – danach, sich zu erneuern, sich zu erheben, und in der Jugend ist das Aufblühen der menschlichen Seele zu finden.
Wenn wir sagen, wir sollten den Kleinen gegenüber nachsichtig sein, so geht dieses aus dem Prinzip hervor, Gott nicht zu verbittern, weil, verbittern wir einen Menschen, so wird in Wirklichkeit nicht dieser Mensch verbittert, sondern Der Herr, Der in ihm ist. Auch wenn wir Gutes tun, helfen wir Gott. Helfen wir jemandem, so wird uns auch sein Engel behilflich sein, der im Himmel wohnt. Wollen wir also Freunde im Himmel haben, müssen wir den Kleinen dienen und ihre Väter – die Engel im Himmel, werden uns in ihrem Haus empfangen und bewirten, dort werden wir uns wie zu Hause fühlen. Dienst gegen Dienst, Liebe gegen Liebe – so ist die Welt.
Nun, wißt ihr, warum Christus diesen Spruch seinen Jüngern gegenüber geäußert hat? Das Verachten – diesen Zustand sollt ihr aus eurer Seele vertreiben. Beispielsweise begegnet ihr einem Menschen, den ihr nicht kennt. In euch entsteht Verachtung, ihr meint, er stehe vielleicht niedriger als ihr. Wenn ihr nur sein Unwissen feststellt und ihm helft, das ist schon was anderes, verachtet ihr ihn aber, so flößt ihr (euch) Gift ein. Aus der Verachtung ist der heutige Aristokratismus hervorgegangen, auch die Kasten – einige sind adlig, andere nicht, einige sind reich, andere dagegen arm. Wenn wir diese Zusammenhänge durchschauen, können wir auch erkennen, daß wir uns unserer Armut wegen nicht zu schämen brauchen, weil die Armut einen Dienst darstellt, der uns auferlegt worden ist und den wir zu tragen haben: wir müssen klein, wir müssen arm sein, um reich zu werden. Das sind zwei Gegenpole, zwischen denen sich tatsächlich die Entwicklung befindet. Und immer vollzieht sich die Bewegung vom Größeren zum Kleineren, das heißt, Gott strebt jederzeit nach dem Kleineren. Er beschäftigt sich nicht mit großen Dingen. Er hat die Welt geschaffen, aber das Regieren der ganzen Welt bereitet ihm nicht soviel Spaß, wie wenn er sich mit den Kindern beschäftigte. Seine Arbeit besteht darin, wenn Er die Menschen Fehler machen sieht, sie zu belehren. Dadurch ist Er für uns ein Vorbild, die Kleinen nicht zu verachten, sondern sie zu dulden und zu belehren – das sollte unsere Erholung sein. Wenn sich der Lehrer mit seinen Schülern beschäftigt, macht es ihm Spaß und er belobigt die Schüler, falls sie fleißig lernen. Die Heiligen sowie die Priester beschäftigen sich mit den Sündern, um sie zu Gott zu wenden. Und die Aufgabe von uns allen ist, unseren Blick immer wieder auf die schwachen Menschen und auf die kleinen Dinge zu richten. Wenn jemand sagt: "Ich kann mich nicht erholen", so denke ich mir, daß er sich mit großen Sachen, mit großen Gedanken beschäftigt. Er kann sich auch nicht erholen, weil er auf seinem Rücken einen, über seine Kräfte hinausgehenden Rucksack mit 10, 20 oder 50 Kilo Gold trägt. Wenn er in dem Rucksack nur einen Napoleondor zum Tragen läßt, wird er sich sicherlich ausruhen können. Und jetzt kommt Gott, um uns zu sagen: "Nieder mit den Rucksäcken!", und Er wird die Welt davon befreien. "Nieder mit den Waffen, die euren Verstand und euer Herz zerstören; ihr alle sollt wie die Kinder werden: die kleinen Dinge nicht verachten, die ich geschaffen habe". Gott will den Menschen in jenen ursprünglichen Zustand zurückverwandeln, der von den Menschen als 'Verwilderung' bezeichnet wird. Ich wünschte, daß die Menschen auf diese Art und Weise wild werden. 'Wild' (bulg. 'div') bedeutet auf Sanskrit 'rein'. Wollen wir rein werden und Gott immer näher kommen, anstatt grob und böse zu werden. Ich wünschte, daß die ganze Welt so schnell wie möglich wild wird, das heißt rein, edelmütig, daß sie die von Gott geliebten kleinen Dinge nicht verachtet, und der Liebe, der Gerechtigkeit, der Weisheit, der Wahrheit und der Kraft den ihnen gebührenden höchsten Rang zukommen läßt. Da ist die Rettung.
(Gehalten am 3. August 1914 in Sofia)
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