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 Die Träume des Joseph

„Dazu hatte Joseph einmal einen Traum und sagte seinen Brüdern davon; da wurden sie ihm noch mehr feind." (Gen. 37:5-11; 39:1-23)

Wir fragen uns im Leben oft, warum uns manchmal Unglücke widerfahren. Man meint überhaupt, daß die Leute leiden, um für Sünden zu büßen, die sie bereits begangen haben oder noch begehen werden, und man fängt an, nach Gründen zu suchen. Wir sehen, daß sich das Leben in den beiden Träumen des Joseph widergespiegelt hat, die er seinen Brüdern erzählte. Selbstverständlich deuteten sie die Träume auf ihre Weise und vermuteten, sie seien Ausdruck geheimer Vorhaben und bedenklicher Ziele, und um ihr Wohlergehen besorgt, beschlossen sie, ihn verschwinden zu lassen. Wie ihr seht, waren das keine fremden Leute, sondern die eigenen Brüder. Sie nahmen ihn bei der ersten Gelegenheit gefangen und verkauften ihn an ismaelitiche Sklavenhändler, die ihn wiederum an einen Ägypter verkauften, womit für Joseph die Prüfungen begannen; Gott prüfte seinen Charakter. Das Leben des Menschen ist nichts anderes als eine Prüfung - es ist der Prüfstein, auf dem sich der menschliche Charakter beweisen muß. Das Wertvollste an der menschlichen Seele ist ihr Charakter - und der muß durchs Feuer gehen. Nur wenn er durchs Feuer geht und standhält, kann man von einem wertvollen, beharrlichen, ewigen Charakter sprechen, von einem ewigen Haus, in dem man wohnen kann. Der Charakter ist das Haus des Menschen. Wir sehen, daß auf Joseph Probleme zukommen, eines nach dem anderen. Zu den Problemen aus den beiden Träumen gesellen sich sehr bald auch andere, von denen Kapitel 39 erzählt. Weil er ein schöner junger Mann war, begehrte ihn die Frau seines Leibherren schon nach kurzer Zeit; sie wollte sich mit ihm vergnügen, aber er entgegnete ihr: „Mein Leibherr hat alles in meine Hände gegeben bis auf dich, du gehörst ihm allein, du bist sein Recht, und eine solche Schande könnte ich vor Gott nicht verantworten!“ Wir sehen, daß in der Seele dieses jungen Mannes Gott herrschte; alles was er tat, maß er daran, ob es vor Gott zu verantworten ist oder nicht. Er war sich der Unannehmlichkeiten bewußt, die ihm die Abfuhr an einer solchen Frau bereiten könnten, aber er zog die Leiden dem Verrat vor. Wegen dieser Prüfung landete er tatsächlich im Gefängnis. Doch Gott half ihm auch hier. Wenn ihr euch die Kapitel genau durchlest, werdet ihr sehen, daß Gott ihn nie im Stich ließ und ihn durch das Deuten der Träume des ägyptischen Königs wieder herausholte. Wenn wir Prüfungen ausgesetzt werden, kennen wir nicht das Ziel, zu dem uns Gott hinführt. Ihr wollt alle in den Himmel, aber wenn euch jemand fragt, was ihr euch eigentlich unter "Himmel" oder "Paradies" genau vorstellt, werdet ihr keine befriedigende Antwort geben können. Ihr habt vom Himmel gewisse Ideen, die aber genauso unklar sind, wie die Träume des Joseph. Was könnten die Ähren, die Sonne, der Mond für ein Verhältnis zu ihm haben? Sie sagten das Kommen gewisser Ereignisse voraus: Seinen Verkauf, die Versuchung der Frau, die Einkerkerung, seine Befreiung und Erhebung. Nun, was ist dieses Königreich und diese Frau? Ägypten ist das Reich, in dem wir leben, und die Frau unseres Leibherrn, die uns versucht, ist die Welt. Ihr seid Knechte, die man verkauft hat, genauso wie eure Brüder nichts mehr mit euch zu tun haben wollen. Ihr befindet euch in Ägypten. Die Frau des königlichen Beamten bietet euch an, euch mit ihr zu vergnügen - die Welt bietet euch gewisse Güter an und verführt euch. Es ist nicht schlecht, wenn man sich umtut, aber es gibt auch verbotene Dinge. Als Adam noch im Paradies war, erlaubte ihm Gott, alles zu essen, bis auf die eine Frucht - und mit seiner Unfolgsamkeit kamen auch die Leiden. Auch in dieser Welt gibt es verbotene Früchte, und wenn ihr von ihnen eßt, kommen die Leiden als eine zwangsläufige Folge. Viele Leute lieben es, das Geld anderer zu befingern. Sie brauchen es für Häuser, für Vergnügungen, für Reisen auf dem Erdball. Joseph aber sah die Sache etwas anders; er hätte über die Güter der Frau des Hofbeamten verfügen können, aber stattdessen dachte er sich: „Ich ziehe die Güter Gottes denen einer fremden Frau vor!“ Die Welt ist eine Frau, die uns nicht gehört. Am nächsten Morgen, nachdem sie ihren Spaß gehabt hat, kann sie euch verstoßen. Eure äußere Schönheit ist es, die sie anzieht. Gleichzeitig liegt der Betrug dieser Versuchung im folgenden: Wenn die Leute uns wegen unseres Äußeren verehren, denken wir gleich, daß es wegen unserer Eigenschaften geschieht. Wir haben einen Sänger, weltgewandt, intelligent, aber alle lieben nur sein Stimmtalent, seinen Hals. Wenn irgendwann seine Stimmbänder ausgeleiert sind, wird man ihn wegwerfen wie eine überflüssige Sache. Die ganze Wertschätzung hängt an einem kleinen Band irgendwo tief im Rachen. Nehmen wir einen großen Geiger, alle verehren ihn, solange er den Bogen führen kann; paralysiert sich dessen Hand, wird keiner mehr was von ihm wissen wollen. Ihr könnt ein guter Erzähler sein, aber alle werden nur solange euren Geschichtchen zuhören, wie ihr sie unterhaltsam erzählen könnt. Wenn eure Stimme brüchig und schrill wird, werden sie euch sagen: „Wir wollen keinen Erzähler ohne Stimme!“ Die Frau, solange sie schön ist, wird von allen Seiten umschwärmt; ihre Schönheit verblaßt, aus der intensiven Farbenpracht werden verwelkte Nuancen, man gibt ihr zu verstehen: „Du kannst nicht mehr mithalten, zieh dich zurück, denn es gibt andere, die deine Aufgabe jetzt besser erfüllen können!“ Joseph wußte von diesem Selbstbetrug, von dieser Schlinge, die man sich um den Hals legt - zuerst wirkt sie kleidsam, doch am Ende bricht sie einem das Genick. Er betrachtete stattdessen nur die inneren Dinge, die beständigen, die ewigen, die es einem zu jeder Zeit ermöglichen, Ruhe zu finden und in Übereinstimmung mit Gott zu sein.

Wir müssen gegenüber den kleinen Ursachen vorsichtig sein, da gerade sie das Unglück herantragen. Hätte Joseph seine Träume nicht den Brüdern mitgeteilt, wäre ihm das ganze Unglück erspart geblieben. Es stellt sich euch die Frage: Wäre es dann nicht unter anderen Vorzeichen gekommen? Es gibt Prüfungen, denen man sich nicht entziehen kann. Ich will euch nichts von den inneren Gesetzmäßigkeiten erzählen, sondern sagen, daß es Dinge gibt, die ausschließlich von Gott bestimmt werden. Wenn wir so listig sein wollen und versuchen, den kleinen Dingen auszuweichen, kommen die Großen, an denen wir dann nicht mehr vorbeikommen. Um die Leiden zu neutralisieren, müssen wir uns an Joseph ein Vorbild nehmen. Wir dürfen uns auf keinen Fall vorgaukeln, daß wenn der heutige Tag "gut" verläuft, die ganze Zukunft wie die Oberfläche eines stillen Sees sein wird - von keiner Brise gewellt. Diese Prüfungen sind notwendig. Warum? Ich gebe euch einen Vergleich: Um einen tiefen Fluß zu überqueren, braucht ihr ein Boot; um an das andere Ende des Ozeans zu kommen, braucht ihr einen Dampfer, der sich Glaube nennt. Und auch die Prüfungen oder Leiden sind wichtig - sie sind der Treibstoff, eure Fahrkarten. Jeder, der versucht, das göttliche Gesetz zu umgehen, ist ein dummer Mensch. Jeder, der sich ständig bemitleidet: „Warum setzt mich Gott bloß diesen Leiden aus?“, ist nicht viel klüger. Jener aber, der sagt: „Ich will ihren Sinn erfahren!“, und ihnen für ihr Kommen dankbar ist, ist verständig. Beachtet: Als die Leiden auf Joseph eindonnerten, versuchte er nicht, sich zu verbiegen, sondern blieb standhaft und empfing sie mit erhobenem Haupt, mit Freude in der Seele und Dem Herrn dafür dankend, daß er, obwohl er sich am Hof des Königsbeamten befand, wo es alles gab, nicht überheblich wurde. Dadurch, daß ihm Gott viel größere Güter zu geben vermag, ließ er sich auch nicht von den Gütern hinreißen, die die Frau ihm anbot, da er sich sagte: „Ich darf mich nicht beirren lassen, viel mehr als auf dem ersten Blick scheint, hängt hiervon ab!“ In diesem Zusammenhang bedeutet die Freude, leider, Sünde.

Worin besteht die Sünde? In allem, was nichts hervorbringt, keine Früchte trägt, wenn man es vergräbt. Eine Frau, die verkuppelt, sich ständig greifbar macht, ohne zu gebären, begeht eine Sünde. Jede Handlung, die kein Leben in sich trägt, ist eine verbrecherische Verschwendung göttlicher Energie. Wenn euch jemand dazu anstachelt, eine Sünde zu begehen, will er, daß wir unsere göttliche Energie verschleudern. Trinkt ordentlich Wein, und am nächsten Morgen wird euch der Kopf wehtun; was habt ihr damit gewonnen? Seid ihr klüger, weiser, bessser geworden? - Eben nicht! Warum sollten wir Dinge tun, die für unseren Charakter nutzlos sind? Wir müssen uns im Rahmen der Vergnügen bewegen, die rechtens, natürlich sind. Nehmt ein Mädchen und einen Buben, die mit Puppen und Schaukelpferd spielen. Diese Dinge bereiten ihnen auf der einen Seite Freude, auf der anderen, fördern sie ihre Entwicklung und bereiten sie auf zukünftige Aufgaben vor. Es gibt auch in der Erwachsenenwelt Vergnügen, aus denen man einen gewissen Nutzen ziehen kann. Es gibt aber auch Vergnügen, die immer die Zerstörung der menschlichen Gefühle, Kräfte und der Errettung in sich tragen. Das unrechte Leben, die sogannte versteckte Liebe, der manche Männer und Frauen frönen, wirkt sich auf Herz und Verstand zersetzend aus. Ihr liebt jemanden, fragt euch, ob ihr damit Gott gerecht werdet, ob ihr dem, den ihr liebt, wirklich einen Gefallen erweist, oder nicht vielmehr seinem Herz und seinen Verstand Schaden zufügt. Joseph war jung und unbefleckt; eine lüsterne Frau wollte ihn besudeln, er aber gab sich ihr nicht hin. Er schützte seinen Ruf, von dem anderenfalls nicht einmal die Erinnerung übriggeblieben wäre. Beachtet, zuerst wurde die Frau, Eva, geprüft, die die Prüfung nicht bestand. Und dann - ihr Mann. Jetzt ist der Mann an der Reihe. Die Schlange versuchte Eva im Paradiesgarten: „Schau, wenn du von diesem Baum probierst, wirst du Wissen gewinnen, Kraft und Weisheit, du wirst wie Gott!“ Eva nahm die Einladung an und sagte: „Für Großes bin ich bereit, ich werde diesen Schritt tun!“, denn ein Vorsatz bestand schon.

Dieselbe Schlange erschien Joseph in der Form einer Frau, die ihm zuflüsterte: „Komm mit mir...!“; er entgegnete ihr: „Nein!“ Dannach kamen die Leiden; aber auch der Aufstieg. Mann und Frau stellen zwei Prinzipien dar, zwei große Kräfte, vernünftig und handelnd: Die eine Kraft ist die aktive, die andere die passive, die eine dynamisch, die andere duldend; zwei Zustände in der Natur, die sich abwechseln. Gott gibt nicht nur, manchmal nimmt er auch. Auf der einen Seite gibt er, auf der anderen nimmt er. Auf der einen Seite, schickt der Ozean Feuchtigkeit zur Dürre, auf der anderen, kehrt die Feuchtigkeit über die Flüsse und den Regen wieder in den Ozean zurück. In diesem Sinne sind Mann und Frau zwei Prinzipien, die arbeiten. Das eine Prinzip ist schöpferisch, genannt Mann, Gott; das andere passiv, genannt Frau oder Der Herr; es ist ein und dasselbe. Folglich müssen wir gegenüber beiden Momenten im Leben, gegenüber beiden Prinzipien, aufrichtig sein. Wenn die Welt es erfordert, Güter zu erlangen, werden wir es nur dann tun können, wenn wir uns auf diesen göttlichen Prinzipien bewegen. Wenn ihr Ihm gegenüber aufrichtig seid, werdet ihr alle Wünsche eures Herzens und eures Verstandes erreichen können. Ihr könnt sie nämlich nur auf eine Weise erreichen - über Gott. Nur er kann eure Wünsche und Hoffnungen befriedigen. Die Mutter zieht das Kind auf, der Lehrer bringt den Schülern etwas bei: Es ist unmöglich, daß sich das Kind ohne Mutter aufzieht, und der Schüler ohne einen Lehrer Wissen erwirbt. Joseph hörte auf die Stimme seines Lehrers, der in ihm war - Gott, der ihm die großen Gesetze der Bewegung beibrachte. All unser Streben im Leben muß darauf ausgerichtet sein, unseren Charakter zu bilden. Wie? Der Charakter ist aus Gedanken und Gefühlen zusammengesetzt, aus positiven Kräften. Wir dürfen das Leben nicht so auffassen, wie es einige tun, in dem eingeschränkten Rahmen des Gelehrten, des Arztes, des Philosophen; nein, wir müssen das Leben soweit auskosten, wie es Gott nach außen hin begrenzt hat. Alle Leute sehen im Leben nur Fragmentstücke: Die moderne Wissenschaft zeigt nur einen Teil der Dinge; das Genie eines talentierten Musikers umfaßt nur ein kleines Feld, der Verstand des Theoretikers ebenso; die Kraft eines gesunden Menschen ist nur durch seine Muskeln begrenzt. Doch einige sagen: „Stark im Verstand“. Stark im Verstand kann nur jemand sein, wenn seine Kraft in Verbindung mit allen göttlichen Gesetzen steht und mit allen Wesen harmoniert, die ihn umgeben, von den niedrigsten bis zu den höchsten. Dann kann sein starker, fähiger Charakter alles erreichen, da alle Wesen mitwirken. Wenn wir in Opposition zu diesen göttlichen Gesetzen leben, bildet sich ein Zwiespalt in unserem Verstand, der die Mißerfolge anzieht, die wir tagtäglich antreffen. Warum haben wir keinen Erfolg? Unser Verstand ist zweigeteilt; wir wollen Gutes tun, ohne zu merken, daß das, was wir gerade tun, schlecht ist. Wir glauben, daß das, was wir vorhaben, vernünftig ist und sich realisieren läßt; wir drehen und wenden es, verschieben es nach oben und nach unten, machen und tun, aber es will einfach nicht klappen. Irgenwann fragen wir uns dann, warum es mit uns nicht vorwärts geht, und stattdessen unsere Erscheinung abnimmt und verblaßt. Wir selbst bringen unser Leben oft unnötigerweise durcheinander. Es macht Sinn, das Wasser zu trüben, wenn man vorhat, Fische zu fangen, es aber andauernd zu trüben, obwohl man dieses Gewässer schon längst leergefischt hat, ist weniger einleuchtend. Manchmal gerät die Frau über ihren Mann in Zorn und trübt ihm das Wasser. „Was willst du? - Einen neuen Rock?! - Da hast du ihn!“, sagt in solchen Fällen der Mann. Das Wasser klärt sich auf. Am nächsten Tag will die Frau wieder Fische fangen - wieder trübt sie das Wasser. Diesmal will sie einen Seidenrock und eine Uhr. „Hier, da!“- antwortet der Mann. Doch, dieser Mann verliert eines Tages seine Stellung, hat kein Geld mehr; was macht er? Er haut ab! Das heißt, der See trocknet aus, verliert nicht nur die Fische, sondern auch sein Wasser. Was kann die Frau da noch trüben? Ständig das Leben zu trüben und sich damit selbst zu belästigen, das ist kein Anzeichen dafür, daß man das Leben verstanden hat. Wir trüben und trüben, und irgendwann sind wir tot.

Ihr habt euch über den Tod Gedanken gemacht? Er ist auf vielen Abbildungen folgendermaßen dargestellt: Ein Mensch, nur noch aus Knochen bestehend, mit einer Sense in der Hand. Habt ihr nachgeprüft, ob es wirklich so ist? „Das nicht, aber Vater und Mutter haben mir erzählt, daß es so ist!“ Es wird wohl wahr sein, aber habt ihr euch darüber Gedanken gemacht, warum er so und nicht anders dargestellt ist? Es ist ein Mensch ohne Muskeln. Ihr müßt rein wie die Knochen werden, die ja bekanntlich weiß sind. Alles, was nicht rein ist, wird abgeworfen werden. Nur die Wohlgesonnenheit, das Streben zum Guten, wird zurückbleiben. Folglich habt ihr etwas, an das ihr euch festhalten könnt.

Übertretet ihr das göttliche Gesetz, wird man euch ständig behelligen. Angst vor Bestrafung muß der Mensch vor, und nicht erst nach der Verirrung haben. Tränen haben noch keinen Menschen gerettet. Die Errettung liegt in der Organisation unseres Verstandes, unseres Herzens, unseres Körpers. Das zu vollbringen, ist unsere Aufgabe auf Erden. Dafür haben wir im Alten Testament ein vorbildliches Beispiel - den großen Charakter im Antlitz Josephs. Wenn wir die entsprechenden Stellen aus Genesis lesen, müssen wir dabei stets ein Augenmerk auf den Charakter Josephs richten. Daß wir ja nicht denken, er sei einfach nur dumm gewesen; im Gegenteil er war sehr klug und sein Vater liebte ihn; Liebe hängt sehr von der Weisheit ab. Joseph hatte auch gleichzeitig ein gutes Herz. Sein Vater schätzte es, aber seine Brüder dachten, er würde ihn nur wegen äußerer Eigenschaften lieben. Deshalb verkauften sie ihn. Was für Umständen man ihn auch aussetzte, sein Charakter erhob ihn. Wegen seiner seltenen Eigenschaften hob ihn sein Herr auf einen hohen Posten; eine andere Prüfung brachte ihn ins Gefängnis, aber er erhob sich auch dort, und schließlich holte ihn Gott aus dem Kerker, wo er - habt ihr gelesen, wielange er dort zubrachte? - zwei Jahre lang gefangen war, eine für Prüfungen bestimmte Zeit. Welches ist euer Gefängnis? Euer jetziger Körper! Ihr müßt eines Tages aus diesem Gefängnis rauskommen, das an sich betrachtet, schmutzig und unhygienisch ist. So, bis jetzt habt ihr das Abendmahl schon oft bekommen, aber wißt ihr eigentlich, was der Wein für ein Symbol ist? Der Bäcker sollte hingerichtet und der Kellermeister wieder auf seinen Posten gehoben werden: Das eine Prinzip im Leben, das aktive, muß sich immer opfern. Der Wein sollte in unser Leben fließen, um es zu erfrischen. Er hat eine große Kraft, weil aber die modernen Menschen nicht darauf vorbereitet sind, macht er sie munter: Ihnen fehlt der Organismus, der es ihnen erlaubt, ihn richtig zu nutzen. Wenn falsch abgefüllter Wein zu fermentieren anfängt, platzt die Flasche.

Kommen wir zu Josephs Charakter zurück. Wir sehen, daß es in ihm einen wachen Verstand gab, der die fundamentalen Gesetze des Lebens begriff. Er hatte ein gutes Herz und wollte auf jeden Fall seine Versprechen gegenüber Gott einlösen. „Ich habe meinem Leibherrn ein Ehrenwort gegeben, ebenso wie Dem Herrn, daß ich ihnen treu dienen werde. Ich kann sie nicht enttäuschen!“ Folglich war er jemand, der beschlossen hatte, gegen den Strom der schlechten Neigungen und Wünsche zu schwimmen. In jedem Fall, ließ er sich von rechtschaffenden Gedanken leiten und besaß ein Herz und einen Verstand, die ausgeglichen waren. Damit Der Herr in unser Leben kommen kann, müssen sich unser Herz und unser Verstand im Einklang befinden, sie müssen ausgeglichen sein. Taucht unter ihnen Unstimmigkeit auf, befindet sich Der Herr nicht in uns. Es gibt Gegenden, die sich zur Anarchie überführen, genauso wie jetzt Serbien, aber auch anderswo, wo der Verstand und das Herz eines Volkes nicht im Einklang stehen; Sie wollen noch mehr haben, aber keiner gibt es ihnen; jeder hat das Ziel, seinen Nächsten auszurauben, weshalb es ständig zu Zusammenstößen kommt. Es gibt ein allgemeingültiges Gesetz, das sowohl für die kleinen als auch für die großen Wesen Gültigkeit hat. Sehr viele wollen leben. Einige wohnen noch bei ihren Vätern und erzählen, was für Träume sie gehabt haben, andere sind von der zweiten Sorte, von ihren Brüdern nach Ägypten verkauft, in den Hof des hohen Königsbeamten, wo sie den Verführungskünsten dessen Frau ausgesetzt sind; dritte wiederum sitzen im Kerker. Der angenehmste Zustand ist natürlich, vor dem Pharao treten zu können. Um das aber tun zu können, mußte Joseph zuvor drei Etappen überwinden, drei Schulen, drei Kurse: den ersten - bei seinem Vater, den zweiten - bei jener Frau, die seine Standhaftigkeit prüfte - und Josef legte eine bravouröse Prüfung ab; er ließ seine Kleider zurück und machte sich, so wie er war, davon. Was bedeutet es, seine Kleider, den Stoff, zurückzulassen? Die Welt flüstert dir wie jene Frau ein: „Komm mit mir, - ich bin sehr schön; andernfalls - “, und ihr Ton wird härter - „findest du dich im Kerker wieder!“, sie will wissen, ob du dich ihr hingibst oder dem göttlichen Gesetz folgst. Du mußt dich von allen Gütern trennen, die dich behindern, den Verführungen standhalten und dem göttlichen Gesetz folgen. Glaubt an Gott, vertraut ihm, und es erwartet euch eine große Zukunft, wie dies Joseph erlebte. Über das kann es keine zwei Meinungen geben. Ich habe euch gezeigt, wie ein junger Mann, der seinen Weg geht, von einem gewöhnlichen Hirten zum zweithöchsten Mann Ägyptens aufsteigt; ohne Betrügereien, Lügen und Morde, sondern mit Selbstaufgabe vor den Leiden und dem göttlichen Gesetz. Folglich, können nur die Weisheit und das Wissen, die sich in eurem Verstand befinden, und die Wohlgesonnenheit und Güte eures Herzens - nur sie können euch helfen. Laßt euch nicht von Äußerlichkeiten an der Nase herumführen, die nur darauf aus sind, euch zu täuschen, wie immer sie auch aussehen mögen - schwarz oder blond. Das Aussehen eures Gesichts und eurer Hände hängt einzig und allein von eurem Herzen ab. Wie das Herz und der Verstand, so auch das Haus, das errichtet wird, so auch die Fenster, die es besitzt. Der Mensch kann immer durch sein Herz und seinen Verstand seine äußere Lage verändern - von einem Nichts zu einer Persöhnlichkeit aufsteigen. Er wird sie aber nur verändern können, wenn er die göttlichen Gesetze einhält.

Wenn wir jetzt den anderen Teil von Josephs Charakter, als seine Brüder vor ihm erschienen, betrachten, sehen wir, daß er sich nicht an ihnen rächte, sondern mit ihnen weinte, all seine Liebe in ihnen ergoß. Wenn uns also jemand im Leben Ärger bereitet, dürfen wir ihn nicht mit demselben Haß bewerfen. Schlechtes denken, rächen, absprechen - das ist kein Zeichen von Charakter; Charakter zu haben bedeutet, zu vergeben. Nur dadurch kann man sich auf die Stufe der Wohlgesonnenheit erheben. Dieses Beispiel sehen wir bei Christus - als Er blutend am Kreuz hing und man Ihn auslachte, sagte Er: „Vergib ihnen, Herr!“ Es wird die Zeit kommen, in der man euch fragt: „Habt ihr jenen vergeben, die euch verletzt haben, die euch verkauft haben?“ Ein Vater sagt zu seinem Sohn: „Aus dir wird kein Mensch!“ Der Sohn geht in andere Gegenden, lernt dort, kehrt zurück, macht Karriere, wird Gebietspräsident, und seine erste Amtshandlung ist die folgende:

Er schickt einige Polizisten, die seinen Vater festnehmen und ihn vor dem Schreibtisch des Sohnes zerren, der ihn fragt: „Na, was denkst du, wird aus mir etwa kein Mensch?!“ Sein Vater antwortet ihm: „Das, was du gerade getan hast, war das etwa klug? Mußtest du mich so hierherbringen lassen, mich ängstigen? Du bist ein unvernünftiger Mensch, der nicht weiß, was er tut! In einer Sänfte hättest du mich hierherführen sollen!“ Das sind die Methoden, die auch wir anwenden - wir setzen alles daran, um den Leuten Angst einzujagen. „Gott, gib mir Macht, ich weiß, wie man regiert - ich werde mit eiserner Hand umherwüten!“ Tausende von Jahren schworen die Leute auf dieses Rezept - überall schlug man sich, und jedes Haus weinte. Inwieweit hat sich dadurch die Welt verbessert? Kein bißchen! Nur die Liebe ist imstande, Elemente des Guten in die menschliche Seele zu säen. Bestrafung hat nur dann einen Nutzen, wenn sie von Liebe geleitet ist, mit dem Ziel, die schlechten Dinge zu entwurzeln. Der, der mit seiner Operation gesundes Fleisch wegschneidet, ist kein guter Chirurg, sondern ein Pfuscher. Folglich ist die vorrangigste Aufgabe, die ihr in der Welt erfüllen müßt: Das grundlegende Gesetz beachten - Herz und Verstand in Einklang bringen.

Viele haben ihre Zweifel, ob es wirklich Gott gibt. Einige von euch sagen: „Wir glauben, daß es ihn gibt!“ Wenn ich diese aber an Josephs Stelle sein lassen würde, so würden sie zu jammern anfangen: „Wenn es Gott gäbe, hätte Er mich nicht ins Gefängnis geworfen! Ich hätte mich nicht von Vater und Mutter getrennt, meine Brüder hätten mich nicht verkauft! - Soll das etwa Gott sein?! Ich glaube kaum!“ Wir müssen alle Leiden empfangen, die von Gottes Hand kommen, wann immer sie auch kommen, müßt ihr euch freuen: Die Leiden sind jene Steine, aus denen man die Stufen eurer Häuser herstellt; sie bilden euren Charakter; sie sind die Verbindung zwischen dem Menschen und Gott; nur über ihnen kann man von einer Welt in die andere, bessere kommen. Besser noch als Leiden ist die Erhebung in dieser Welt. Sicherlich steht ihr den Leiden feindselig gegenüber, aber eigentlich sind sie die größten Geschenke, die man euch machen kann. Wenn eine Seele lange genug gelitten hat, bringen die Leiden Früchte hervor, und sie wird anfangen, sich zu freuen. Wenn die Wurzeln der Bäume nicht die Säfte aufsaugen würden, könnten wir dann süße Früchte kosten? Wenn die Mutter nicht Leiden würde, wenn sie es nicht in ihrer Gebährmutter trüge, gäbe es dann ein Kind, über das sie sich freuen könnte? Wenn der Vater nicht sein individuelles Leben einschränken müßte, würde er sich freuen? Ein Lehrer, der die Mühen scheut, könnte er Schüler haben, die ihn schätzen? Wer, der ein Leben lang auf dem faulen Rücken gelegen hat, ist je in den Himmel gehoben worden, um dort einen hohen Posten zu bekleiden? Überall auf der Welt ist das Leben nur aus Leiden zusammengesetzt. Sie sind die Segmente einer Skulptur, die zusammen eine Statue ergeben. Wenn wir den tiefen Sinn der Leiden begreifen, werden wir sehen, daß es ein Prozeß ist, der unseren Charakter bearbeitet. Wenn wir den letzten Hammerschlag zur Vollendung unseres Charakters ausgeführt haben, werden die Leiden verschwinden, und die große Statue unseres Lebens wird vor uns stehen. Wir wollen in den Himmel. Was können wir aber vorzeigen? Unseren Charakter - er ist unser Reichtum. Euch gefällt es, ein schöner Mann oder eine schöne Frau zu sein, rank und schlank, mit edlen Eigenschaften. Wenn ihr aber auf die Welt tretet, was werden die Leute sagen, wenn ihr keinen edlen Charakter habt? Werden sie etwa sagen, daß sie in diesem Gesicht einen guten Menschen sehen? Selbst wenn ihr kein ansprechendes Äußeres besitzt, dafür aber einen klaren Verstand und ein gutes Herz, werden die anderen sagen: „Seht, ein Mensch mit Charakter!“ Das ist das größte Lob, das ihr von der Welt hören könnt. Wenn wir einen solchen Verstand und ein solches Herz besitzen, wird die Welt uns brauchen. Zu Zeiten des Pharaos gab es in Ägypten viele gelehrte Ägypter; warum setzte er nicht sie auf den höchsten Posten, sondern einen Ausländer? Wegen seiner hübschen Gesichtszüge? Nein! Wegen seines Verstandes und seiner Güte. Wenn wir wie er sind, wird uns die Welt diesselbe Stellung einräumen. Wenn wir dumm sind, wird sie uns links liegen lassen. Die jetzigen Menschen sammeln sich aber genau um das Gegenteil und sagen: „Der Mensch soll nicht gütig sein, weil Güte nichts anderes als Dummheit ist!“ Sie verstehen selbst nicht, was sie da sagen. Die äußeren, fremden Dinge werden ihnen sogar an Ostern weggenommen; der Charakter bleibt ewig unser: gerade das macht ihn für uns so wertvoll. Heute seid ihr denselben Prüfungen ausgesetzt - ihr seid genauso verängstigt wie die Ägypter seinerzeit, als Joseph lebte; ihr wißt nicht, was euch morgen widerfahren kann. Das Schicksal, die Zukunft liegt nicht in unserer Hand. Was die Ereignisse für eine Form annehmen, könnt ihr nicht voraussehen. Doch das Schicksal könnte in eure Hände gelegt werden, wenn ihr soviel Glauben und Vertrauen in Gott habt wie Joseph. Dann könnt ihr auf das Schicksal Einfluß nehmen, wo ihr auch seid, in was für Lage man euch auch bringt, ihr werdet wie Öl auf dem Wasser sein. Das erste, was ihr dafür tun müßt, ist euch nicht zu fürchten und unruhig zu werden; ihr müßt Mut und Entschlossenheit beweisen, ihr dürft nicht verängstigt sein. Die Angst muß ihren Platz an den edlen Verstand abtreten. Ihr dürft nur zögern, wenn ihr euch eine bestimmte Frage nicht beantwortet habt, ob etwas richtig ist oder nicht. Wenn ihr diese Frage für euch beantwortet habt und denkt, euer Entschluß sei richtig, müßt ihr ihn unter allen Umständen in die Tat umsetzen und auf ihn beharren. Joseph antwortete der Frau kurzentschlossen: „Ich will es mit dir nicht tun!“ Die Prüfungen wurden weitergeführt; er wurde festgenommen und eingekerkert, aber Gott blieb bei ihm.

Zur Bildung des Charakters ist Geduld unabdingbar. Sie ist das Fundament aller Dinge. In Josephs Charakter sehen wir gerade diese große Geduld: Im Kerker war er in keinster Weise beunruhigt, er arbeitete, lernte, er war bereit, alles zu erdulden. Die Geduld ist kein angeborenes Wesensmerkmal, sondern etwas, was man sich erst mit Mühe antrainieren muß. Alle Leiden haben das Ziel, unsere Geduld auszubilden, uns geduldig und gelassen zu machen, damit wir mit Vertrauen in die Zukunft sehen können, was immer auch für Enttäuschungen auf uns warten, uns nie gehen zu lassen. Eine Frau könnte sagen: „Mein Wunsch ist es, mich nach meinen Vorstellungen zu verheiraten!“ Er geht in Erfüllung und sie sagt: „Mein Leben ist zu Ende!“ Nein, sie befindet sich am Anfang ihres Lebens! Einige sagen: „Ich habe mein ganzes Vermögen verloren!“ Na und? Du bist am Anfang deines Lebens - nichts hast du verloren! „Ich habe meine Gesundheit verloren!“ Du bist am Anfang deines Lebens, du wirst eine neue Gesundheit bekommen! In was für Situationen wir auch kommen, wir müssen dulden und auf Gott bauen, bis zur letzten Minute. Dieser Glaube muß tief in unserem täglichen Leben wurzeln. Einige wollen in guter Gesellschaft leben, wollen von angenehmen Leuten umgeben sein. Joseph als Ausländer lebte unter fremden Leuten, aber er machte mit seinem Verstand und seinem Herzen aus ihnen gute Freunde. Einige werden einwenden: „Diese Leute waren doch verirrt!“ Gerade unter diesen verirrten Fremden gibt es edle Seelen. Der moderne Christ sagt: „Sie sind doch ungläubig, sie sind noch grün!“ Wenn sie nicht grün sein dürfen, wie sollen sie dann reifen? Die Dinge, die aus der Erde wachsen, sind zuerst grün, sie reifen nicht sofort. Das Grünen ist ein Prozeß, durch den die Säfte eingesaugt werden und wenn sie dann da sind, beginnt die Reifung. „Es beleidigt mich, daß man mich "grün" nennt!“. Keiner beleidigt dich, es ist bestens, daß du grün bist; wenn du ein edler Mensch bist, wirst du mit Arbeit alles erreichen. Wer nicht grün ist, wird nicht reifen können. Was nicht grün ist, ist vertrocknet; in einem solchen Fall gibt es auch keine Entwicklung. Wenn ihr grün seid, freut es mich; es ist eine edle Eigenschaft, grün zu sein. Wenn ihr reift, werdet ihr gelb wie das Gold. Alle lieben das Gold, d.h. die Reifung. Es gibt einige Leute, die nicht gereift sind. Wißt ihr, was Gold bedeutet? Gereift zu sein! Das Leben besteht aus einer allmählichen Entwicklung hin zur Reifung. Diesen allmählichen Prozeß nennt die Wissenschaft Evolution, Entwicklung. Er ist solange notwendig, bis alle Menschen ihren Entwicklungsprozeß abgeschlossen haben und alles Wissen und alle Güte in ihnen ist. Wenn wir all diese Säfte erlangt haben, wird Gott Seinen Segen schicken und die Früchte in uns werden reifen. Dann wird Der Herr erscheinen. Solange ihr noch grün seid, beobachtet Er euch von weitem. Wenn ihr reift, wird Er kommen und die reifen Früchte einbringen, denn Er braucht sie. Wenn ihr zu begreifen anfangt und das Nötige vom Unnötigen abtrennt, das Vorbeiziehende vom Ewigen, wenn sich euer Charakter gebildet und seine endgültige Form angenommen hat, wenn die Früchte eures Gartens reifen, werdet ihr aus dem Gefängnis befreit werden und vor Dem Herrn dieser Erde gestellt, um eure Auslegung der beiden Träume des Lebens zu präsentieren; ihr werdet die Wahrheit nicht als Gefangener, sondern als freier Mensch unter die Leute tragen. Dann wird die Wahrheit wie ein Lorbeerkranz auf eurem Haupt sein und die Ähren auf den weiten Feldern werden sich vor euch verneigen, und die Sonne, der Mond und alle elf Planeten am Firmament werden euch grüßen. Der tiefe Sinn des weltlichen Daseins wird euch dann klar sein. Der Herr wird erscheinen und das Reich Gottes auf Erden begründen.

(Gehalten am 20. Juli 1914 in Sofia)

 

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