„Da ging Jesus heraus und trug eine Dornenkrone und ein Purpurkleid. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!“ (Joh. 19:5)
Während man im Bulgarischen unter dem Wort "Mensch" ein Wesen versteht, das ein ganzes Jahrhundert lang lebt, bedeutet in der ursprünglichen Sprache, in der Sprache, in der dieser Ausdruck geschrieben wurde, "Mensch" (auf bulgarisch: Човек, sprich: tschovék) etwas anderes: Es bedeutet Jesus, der Mensch, der auf die Erde kommt, der Mit-leidende. Wie sollen wir diese Worte verstehen? Können die Leute, wenn wir vor die Welt treten, von uns sagen: „Da ist der Mensch!“? Um mit diesem Namen ausgezeichnet zu werden, muß man in sich folgende vier Dinge vereinigen: Reichtum, Kraft, Wissen und Tugend. Ihr werdet aber sagen: „Was hat hier der Reichtum zu suchen?“ - Der Reichtum ist der Ackerboden, die Bedingung, unter der sich der Mensch entwickeln kann; es ist der Ackerboden, auf dem sich die Kraft entwickelt. Und diese spendet Wärme und Licht, was das Wachstum, die Entwicklung fördert. Das Wissen ist die Methode, durch die unser Leben erkannt und geordnet werden muß. Die Tugend schließlich ist das Ziel, nach dem wir streben müssen. Oft stellen die Menschen die Frage: „Was sollen wir tun?“ - Säet ein Weizenkorn und es zeigt euch, was ihr zu tun habt! „Wie?“, werdet ihr fragen. - Sorgt für genügend Feuchtigkeit, und dann zeigen euch die Sonnenstrahlen, wonach das Weizenkorn strebt - nach einer Richtung - zur Sonne hin, hin zur Lebensquelle! Auch wir müssen wie das Weizenkorn wachsen - wir müssen zu Gott streben.
Es könnte jemand fragen: „Wenn nun das Weizenkorn ausgewachsen ist, hat es denn dann die Sonne erreicht? Schließlich will ich Gott finden!“ - Es ist für dich unwichtig zu wissen, wo Gott ist, du brauchst nur nach Ihm zu streben. Das Korn hat verstanden, was Sonne bedeutet und hat sich ihren Gesetzen gefügt. Für uns gilt dasselbe Gesetz, - auch wir müssen zum selben Schluß kommen. Auch wir müssen gesät werden. Das Leben wird uns mit Sicherheit Schwierigkeiten bereiten, diese kleinen, aber notwendigen Hindernisse aufstellen, genauso wie das Korn einen gewissen (Luft-) druck benötigt, um mit seinem Wachstum beginnen zu können, d. h. mit dem Wissen. Die Frucht, die es dann trägt, ist die Tugend. Wir müssen also gesät werden, brauchen etwas Ackerboden, gewissen Druck, müssen nach oben wachsen und Wissen gewinnen. Dieses Wissen, nachdem es eine gewisse Stufe erreicht hat, verwandelt sich sofort in ein Weizenkorn. Danach läßt Der Herr den Weizen abernten, trennt das Nötige vom Unnötigen ab - den Weizen von der Spreu. Wir werden geboren - das bedeutet, wir sprießen hervor; wir wachsen auf, entwickeln uns, sterben und werden zu Grabe getragen - das bedeutet Dreschen. Von der Tenne wird Der Herr jenes sammeln, was Er braucht. Das entspricht dem Bild von der Scheune und dem Kornboden: Die Spreu trägt man in die Scheune, und die Körner - auf den Kornboden.
Ich habe euch das neunzehnte Kapitel des Johannesevangeliums vorgelesen, damit ihr die vier Sachen erseht, die Christus am Kreuz trug - vier Sachen, die auch wir begreifen müssen. Ordnen wir die Tugend dem Kopf zu, der ja, wie wir wissen, nicht angenagelt war, das Wissen der linken Seite, die Kraft der rechten, und der Reichtum den Füßen unten. Schon haben wir den gekreuzigten Menschen! Indem der Reichtum, die Macht und das Wissen festgenagelt werden, erheben sich deren Säfte zum Kopf, zur Tugend. Wenn Der Herr vorhat, einen Menschen zum Guten zu bekehren, nagelt Er ihn fest, seine Reichtümer, seine Macht, sein Wissen. Was aber bedeutet das Festnageln? Die Güter kommen in Verwahrung, damit nichts abhanden kommt, damit kein anderer über sie verfügt, denn Der Herr ist es, der verfügt. Er sagt: „Wenn Ich arbeite, kannst du beruhigt sein!“ Weil der Mensch aber nicht ruhig bleiben will, sagt Der Herr: „Nagelt ihn fest, damit Ich in Ruhe arbeiten kann!“ Wenn man uns ans Kreuz nagelt, dürfen wir nicht weinen, denn Der Herr arbeitet ja in der Zwischenzeit für uns. Unglücklich ist jener, der nicht ans Kreuz genagelt ist. Wer will, daß Der Herr sich mit ihm beschäftigt, muß diesen Prozeß der Entwicklung durchlaufen. Ich spreche euch in Gleichnissen.
Vor diesem Entwicklungsprozeß muß unbedingter Glaube bestehen, ein unerschütterlicher Glaube an den allumfassenden göttlichen Plan, der alle Wesen, die Gott schuf, miteinbezieht. Wir brauchen nicht an Gott zu zweifeln, weil Er vollkommen und allmächtig ist, denn Jesus sagte an einer Stelle: „Das dem Menschen Unmögliche ist für Gott möglich!“ Die Wege Gottes sind unergründlich. Man darf sich nicht denken, daß diese Wege umgelenkt oder blockiert werden könnten: Das ist absurd.
Wenn wir aufgerufen werden, den göttlichen Weg zu beschreiten, müssen wir den einfachen Glauben der Kinder haben und Fehler, wie dieser in der folgenden Erzählung, vermeiden. In England wollte ein berühmter Künstler ein Bild malen, das die äußerste Armut darstellen sollte. Tage und Monate durchstreifte er London, um ein für sein Vorhaben passendes Subjekt zu finden. Endlich findet er ein zerlumptes Kind, dessen Anblick ihn zutiefst berührt, und ruft in sich hinein: „Das ist die passende Person für mein Gemälde!“. Er geht zu ihm hin, gibt ihm seine Visitenkarte mit der Adresse und lädt es zu sich ein: „Komm nach vier Tagen zu mir, ich muß mit dir etwas besprechen!“. Aber, den Mann so gut angezogen sehend, denkt sich das Kind: „Ich kann doch nicht, in Lumpen gehüllt, zu ihm gehen!“, und besucht Bekannte, um sich so anzukleiden, wie man sich Könige vorstellt. Es findet Kleidung, zieht sich an und geht zu seiner Verabredung mit dem Maler. „Wer bist du denn?“, fragt ihn der Maler. – „Ich bin der Soundso!“ – „Mach dich fort! Wenn ich, wie dich Angezogene gesucht hätte, ich fände sie zu Tausenden. Ich brauchte dich so, wie ich dich damals sah!“ Wir wollen uns auch einkleiden, wenn der Himmel uns zur Arbeit ruft. Die Kraft aber sitzt nicht in unseren Kleidern, Hüten, Handschuhen und Stifeletten, nicht im gutgebügelten Kragen, den Krawatten und Taschenuhren; sie stellen nichts Wichtiges dar. Vielmehr liegt die Kraft in unserer Vernunft, in unserem Herzen, in den edlen Trieben und Bestrebungen, Gutes zu tun. Wenn wir diese Dinge erst beisammenhaben, kommt der Rest zu gegebener Zeit von selbst. Nehmen wir, wenn wir in den Himmel kommen, unsere weltliche Kleidung mit? Wenn Der Herr uns in den Himmel ruft, zieht Er uns hier, auf Erden aus, Er will unsere Kleider nicht und sagt: „Bringt ihn Mir so, wie er ist!“ Wenn einer gestorben ist, wendet sich jeder von uns von ihm ab; sogar diese, die ihn geliebt haben, beeilen sich zu sagen: „Schafft ihn schnellstmöglich fort!“ Wo ist dann ihre Liebe? Der Herr jedoch, wendet sich nicht ab, Er sagt: „Bringt ihn Mir, Ich brauche ihn so, wie er ist“. Wenn man uns begraben und zurückgelassen hat, was macht dann Der Herr? Er fängt an, mit uns zu sprechen, und erlöst nicht, wie viele meinen, den Verstorbenen. Er fragt uns: „Na, hast du das Leben verstanden, hast du verstanden, was der Sinn des Lebens war, das Ich dir geschickt habe?“ Während Der Herr im Laufe dieses Gesprächs sein großes Bild malt, spielt sich auf der Erde folgendes ab: Die Leute, nachdem sie sich von dem Toten verabschiedet haben, fangen zu weinen an und zählen all seine guten Eigenschaften auf - sie erblicken mit einem Male das göttliche Bild, das in diesen Eigenschaften steckte.
Wir müsssen die Leiden, denen wir ausgesetzt werden, aushalten, und Lehren aus ihnen ziehen. Jesus wollte uns mit Seinen irdischen Leiden ein Beispiel geben, daß man sich dem göttlichen Lauf fügen muß. An einer Stelle sagt Er: „Als hätte Ich keine Möglichkeit, Meinen Vater zu bitten, tausend Engel zu schicken, damit sie Mich befreien. Aber wenn Ich das, wozu Ich gekommen bin, nicht erfülle, was wird dann aus den Menschen werden?“ Denn auch Er selbst wollte sich erheben. Ihr seid auf Erden, und eines Tages werden auch über euch Stürme und Schwierigkeiten heraufziehen - und vielleicht trifft euch dann das gleiche Schicksal. Wenn diese Stunde gekommen ist, dürft ihr es nicht als ein Unglück begreifen, denn dort, wo es keine Leiden gibt, ist auch kein Reichtum möglich; dort, wo es Trauer gibt, gibt es auch Freude; und wo es den Tod gibt, gibt es auch eine Auferstehung. Jener, der versucht, sich neben die Leiden der Menschheit zu stellen, geht leer aus. Was aber bedeuten Leiden? Sie sind die Produkte von Irrtümern, die aus früherer Unwissenheit erwuchsen! Diese Fehler werden durch den Prozeß des Leidens korrigiert. Dieser Prozeß ist eine Möglichkeit, uns zu vervollkommnen und jene höchsten Schwingungen zu erreichen, die uns im Himmel erwarten. Hundertmal muß man Schmerzen erdulden, um an einer göttlichen Freude teilhaben zu können. Erst dann sind wir in der Lage, jene Freuden gebührend zu schätzen und festzuhalten. Deswegen fängt Der Herr mit solchen Dingen wie "Leiden" an, um uns zu härten, genauso, wie der Schmied das Eisen härtet, um es für Arbeit tauglich zu machen. Damit wir die Freuden tragen können, die danach kommen.
Jeder von uns ist Dem Herrn wichtig, sehr wichtig. Ihr könnt auf der Erde ein Nichts sein, eine reine Null, für Den Herrn aber seid ihr ein unentbehrliches Individuum. Nur Der Herr, Der euch auf die Erde geschickt hat, weiß eure Leiden zu würdigen, und folglich, braucht es euch auch nicht zu beunruhigen, was die Welt von euch denkt. Der, der euch geschickt hat, - Er denkt an euch und Er schätzt euch. Es ist für euch wichtig, die Gnade Gottes zu haben. Wenn Der Herr mit euch ist, werdet ihr schön sein, und die Welt liebt das Schöne; wenn Er mit euch ist, werdet ihr reich, stark und gut sein - und das Gute wird immer und überall verehrt.
Jetzt werde ich euch von Gott erzählen, aber nicht von dem abstrakten, im Raum versprenkelten Wesen, von dem die Philosophen sprechen, und von dem keiner weiß, wo es sich befindet. Ich meine Den Gott, von Dem ich hier rede, Der, Der an uns denkt, Der unsere Taten beobachtet, berichtigt, korrigiert, bestraft, uns an- und auszieht, uns auf die Erde schickt und zu sich zurückholt. Was bedeutet Sterben? Der Herr führt einen Eingriff durch, wenn Er sieht, daß ihr zu viel verlieren werdet, und verhindert einen weiteren Verlauf - „damit er sich nicht weiter verschuldet, nehmt ihm das Kapital, das Ich ihm gegeben habe; die Zeit ist jetzt ungünstig, hebt ihn für eine andere Zeit auf, bringt ihn zu Mir!“. Während dieses Aktes glauben wir, daß die Welt uns vergißt. Aber selbst wenn die Welt uns vergessen hat, Der Herr denkt an uns; die Welt muß uns sogar vergessen. Eine Magd wird sich nie verheiraten, wenn sie alle Burschen liebt; sie muß sich einen aussuchen, um sagen zu können: „Das ist meine Welt!“ Diese Tatsache läßt sich auch auf das Leben übertragen. Ihr dürft nur einen Herrn haben. Es gibt viele göttliche Dinge auf dieser Welt, und sie alle sind darauf bedacht, euch zu vereinnahmen; ihr aber müßt euren Weg finden, auf dem ihr leben, euch entwickeln und reich werden könnt.
Die Heilige Schrift sagt: „Gott ist nicht nur im Himmel; Er wohnt auch in den Herzen der Demütigen“; die erste Eigenschaft also, die ihr erlangen müßt, damit Er in euch einzieht, ist die Demut. Aber diese Demut ist nicht die Demut eines Schafes - nachdem man euch verprügelt und eure Beine gebrochen hat, zu sagen: „Da ist nichts mehr zu machen!“ Es ist nicht Demut, wenn man euch alle Reichtümer wegnimmt, zu sagen: „Wir sind jetzt demütig“. Demut bedeutet, über alle Reichtümer, Kräfte, Kenntnisse und Tugenden zu verfügen, sich dessen bewußt zu sein, und zu sagen: „Mein Herr, Du verfügst über alles, was ich besitze!“ Aber ein jeder von uns handelt wie folgt: Man predigt ununterbrochen das Evangelium - alles wunderbar. Wenn Der Herr sich jedoch anschickt, unsere wohlgefüllten Geldbeutel zu behelligen, schreit man mit einem Male auf: „He, He, das geht nicht! Schau, eine Hälfte kann ich Dir geben, aber...“. Wenn Er unsere Kraft belangen will, sagt man: „Du kannst doch nicht einfach über meine ganze Kraft verfügen!“ Befinden wir uns aber in einer Notlage, so flehen wir Ihn an, uns zu leiten und aus der Misere zu helfen. Diese Art von menschlichem Verständnis vom Leben überwiegt in allen philosophischen Systemen seit Tausenden von Jahren. Und unsere Mißgeschicke entstehen gerade daraus. Aber Jesus will uns durch Sein Leben den Weg zeigen. Viele Christen haben erkannt, daß, wenn sie Christen werden, sie sich von der Welt lossagen müssen. Ihr könnt Haus, Reichtum, Frau und Kinder aufgeben und trotzdem an sie denken. Ihr könnt in ein einsames Kloster ziehen, und euch dennoch fragen: „Wie geht's meiner Frau, meinen Kindern, was ist wohl aus meinem Haus geworden?“ Das bedeutet, daß ihr euch noch nicht von ihnen losgelöst habt, daß ihr noch nicht frei seid. Sich von Dingen lossagen, bedeutet nicht, sie zu vergessen, sondern sie in die Freiheit zu entlassen - die Frau tun zu lassen, was sie für richtig hält, den Sohn tun zu lassen, was er für richtig hält. Sich loszusagen bedeutet, zur Seite zu gehen, ihnen nicht weiter hinderlich zu sein; laßt sie ihren Weg gehen. Können wir etwa den Strom am Fließen hindern? Wir müssen ihm seinen Lauf lassen, wir können höchstens eines tun: ihn nutzen. Genauso können wir auch das Leben nicht behindern, sondern nur die Dinge nutzen. Jesus sagt uns klar und eindeutig: „Wenn ihr Mich liebt“, - und wir sollten Ihn lieben, - und nicht: „Wehe euch, wenn ihr Mich nicht liebt!“ Nein, Der Herr verlangt Opfer von uns nie gewaltsam!
Die Leute schimpfen: „Warum bringt Der Herr die Welt nicht in Ordnung, wenn Er doch allmächtig ist?“ - „Wie soll Er sie denn in Ordnung bringen?“ - „Jenem, der lügt, soll die Zunge verdorren, dem, der stiehlt, soll die Hand verdorren!“ Was wir dann hätten, wäre ja eine Welt, die nur aus Krüppeln bestünde. Würde euch eine solche Welt etwa gefallen? Der Herr handelt auf genau entgegengesetzter Weise, er folgt einem anderen Prinzip, indem er sagt, daß der, der Herrscher sein will, Diener werden muß. Mit diesem Vorgang verhält es sich folgendermaßen: Die starken Menschen wollen gewöhnlich, daß alle Bäche in ihren Fluß münden; bei der Güte aber, ist die Lage gerade umgekehrt - Der Herr ergießt sich in Form von kleinen Rinnsalen - und, anstatt sie zu lenken, läßt Er sie sich selbst lenken. Ihr könnt zu Hause eine kleine Übung durchführen: Wenn der Wille zur Macht euch einmal verlassen hat, könnt ihr euch vornehmen, Diener zu werden, Des Herrn wegen. Dann werdet ihr die Stelle Des Herrn einnehmen. Ihr sucht Den Herrn am Himmel, aber Er ist nicht da; während ihr stöhnt und leidet, ist Er in euch. Das, was man Wachstum und Fortschritt nennt, ist ein Prozeß, in dem Der Herr wirkt. Er ist der beste Arbeiter. Manche Menschen beklagen sich: „Warum sieht Gott unsere Leiden nicht?“ Er aber sagt: „Ich habe keine Zeit, Ich bin mit nichts anderem als mit euren Angelegenheiten beschäftigt, Ich bin mit viel wichtigeren Angelegenheiten von euch beschäftigt; wenn Ich Zeit habe, werde Ich Mich mit diesen kleinen, äußerlichen Mißverständnissen beschäftigen!“ Das ist keine Allegorie, sondern die reine Wahrheit. Es gibt in der Heiligen Schrift einen Vers, in dem Der Herr sagt: „Ich war für Israel ein beladener Karren, auf den die Menschen ständig alle möglichen Dinge luden.“ Die Leiden aber, die wir hier erdulden, sind die Leiden Des Herrn; Er leidet und weint in euch. Wir sagen: „Ich weine, Trauer verhängt meine Seele...“, wenn wir aber sagen würden: „Mein Herr! Verzeih mir, ich habe Dir so viele Schmerzen durch meine unreinen Gedanken und Taten verursacht!“, dann fänden wir den Weg, der uns aus dem Jammertal führt. Und - wir müssen endlich Den Herrn in uns einziehen lassen. Wir haben Ihn mit Seilen fixiert und angenagelt. Wir müssen Ihn zu Grabe tragen, Ihn in Ruhe lassen, denn dann wird Er auferstehen und uns erlösen. Laßt euch eines sagen: Die, die Ihn an Seinem Weg hindern, sind wir, die Menschen, und nicht etwa die Teufel, diese behindern Den Herrn in keinster Weise. Weil Er uns das Recht auf Freiheit gewährt hat, kann und will Er nicht das Gesetz verändern; aber Er wird uns solange nicht erlösen, bis uns dies nicht bewußt wird: Wir müssen Ihm freiwillig gehorchen. Er muß tief in unser Bewußtsein eindringen, damit wir Ihm ähnlich werden. Dann werden wir unsere Reichtümer, Kräfte und Güter zum Aufstieg nutzen; Für wessen Aufstieg? - Für den unserer Brüder, unserer Nächsten. Jeder von euch muß die Seele seiner Brüder suchen und schätzen und nicht ihre Körper. Ich kann euch sagen, daß Jesus, nachdem Er zu uns herabstieg, bis zum heutigen Tage die Erde nicht verlassen hat; Er lebt unter den Menschen, arbeitet unter ihnen, und muß endlich in uns auferstehen, damit wir Glauben haben, aber nicht jenen Glauben und jene Angst, den die Juden hatten: „Wir haben keinen anderen König außer dem Kaiser!“, mit der Folge, daß sie ihn, als dieser Kaiser nach einigen Jahren Jerusalem zerstört und ihren Tempel niedergerissen hatte, aufgaben. Auch heute könnte jemand sagen: „Der Kaiser ist mein König!“, - die gleiche Enttäuschung würde auf ihn warten.
Ich gehe besser einen Schritt zurück. Vor allen Dingen müssen wir auf dieser Welt leben, um uns vorzubereiten; wir können nicht im Himmel leben, denn dort ist das Licht und die Wärme - für uns - zu stark. Der Gärtner, wenn er Kiefern von einer hohen Stelle ins Tal verpflanzt, muß sie mehrmals umpflanzen, damit sie sich langsam dem neuen Lebensraum anpassen können. So auch Der Himmlische Vater, Der uns nicht einfach von hier rausnehmen und geradewegs in den Paradiesgarten setzen kann. Auch unser Schulsystem ist nach diesem Prinzip gegliedert: Zuerst müssen wir die erste Klasse durchlaufen, danach die zweite..., irgendwann die Universität beenden und schließlich vor die Welt treten. Dies alles sind Kulturverfahren, die es jenem ermöglichen, seine Fähigkeiten auszubauen, der weiterkommen will. Ein Christ darf, meiner Meinung nach, kein Dummkopf sein und sagen: „So, wie Der Herr es grad' gibt....“. Nachdem ihr euren Acker gepflüget habt, säet ihr Weizen, denn, wenn ihr keinen Weizen sät, was kann Der Herr euch dann geben? Doch wohl nur Unkraut und Dornen! Bearbeitet den Weinberg, pflanzt Rebstöcke und sie bringen euch Früchte. Die Art des Rebstocks entscheidet, was für Früchte ihr erhaltet; wenn ihr Rebstöcke niederer Güte pflanzt, werden sie euch saure Trauben bringen. Der Herr hat eurem Kind einen guten Verstand gegeben, was aber habt ihr in seinen Verstand gepflanzt? Hoffentlich diese Keimlinge, die eine gute Frucht hervorbringen! Wir wollen gütig, stark und reich sein; wir können Güte, Kraft und Reichtum haben, und es ist wichtig für uns, sie zu haben: Die Bedingungen, unter denen sie gedeihen und sich entwickeln können, sind folgende: Der göttliche Keim, das göttliche Gesetz und das göttliche Gleichgewicht. Das Gleichgewicht - das ist die Tugend, das Gesetz - das ist das Wissen, die Bedingung - sie ist die Kraft, der Keim - das ist der Reichtum. Aber ihr werdet mich fragen: „Wie werden wir Gott finden?“ Es ist ganz leicht. Ein Mann wollte sich mit einem anderen einen Scherz erlauben, der zu ihm gesagt hatte: „Wir befinden uns in einem Garten, wo es sehr gute Äpfel gibt!“ - „Ich sehe keine!“, widersprach der andere, seine Augen zukneifend; sein Freund ohrfeigte ihn, und der andere sperrte seine Augen auf - und sah. So ohrfeigt auch uns manchmal Der Herr - und wir sehen. Mögen jene von euch, deren Augen geschlossen sind, den Wunsch haben, daß sie aufgehen. Unsere gegenwärtige Umgebung sagt gerne: „Wo ist Der Herr? - Er ist sowohl in den Bäumen, als auch in den Steinen und nicht zuletzt im Boden!“; wenn sie aber ein Unglück befällt, wirft sie ihren Blick gen Himmel und ruft, sehend, daß Er dort ist: „Ach, Herrje!“. Dafür sind die Mißgeschicke gedacht. Sie sind die Ohrfeige, mit der Der Herr uns sagen will: „Ich habe euch nicht die Augen gegeben, damit ihr wie Blinde umherstolpert!“ Um uns zu erheben, müssen wir wie die Kinder sein - ständig auf der Suche und immer bereit, Neues aufzunehmen.
Jetzt werde ich euch etwas anderes sagen. Was ist die Methode, nach der wir arbeiten müssen? Wir müssen von jetzt an, geistig und herzlich mit allen Menschen dieser Erde verbunden sein, denn die Erlösung ist in unser aller Interesse, und Einigkeit macht stark! Wenn wir dann mit Herz und Verstand vereint sind, wird das Reich Gottes auf Erden anbrechen. Bei einem Freund, den wir wirklich lieben, dürfen wir nicht nach seinen Fehlern suchen: Auch er wird wie wir welche haben; die Fehler, das ist nur die Oberbekleidung, die ein Mensch trägt; die menschliche Seele an sich ist rein, sie kann weder verderben, noch kaputtgehen; niemand ist imstande, eure göttliche Seele zu zerstören. Sie kann von außen beschmutzt werden, aber nicht innerlich, weil Gott sie bewohnt. Es ist unmöglich, etwas zu vernichten, das von Gott geschützt wird. Wir sollten uns der Welt so unterwerfen, wie Jesus dem Pilatus antwortete, nachdem er Ihm drohte: „Es steht in meiner Macht, dich zu kreuzigen!“ - „Ich unterwerfe mich Jenem, der dir diese Macht gegeben hat, denn meine Seele ist frei!“ Wir müssen uns zeitweiligen Leiden unterwerfen; wir verstehen nicht ihren Sinn - wenn wir aber gestorben und auferstanden sind, werden wir begreifen, warum sie nötig waren. Jeder von uns hat sich schon mal aus Erregung und Angst gequält. Das ist kein Leben. Leben ist, wenn man von edlen Gefühlen beseelt ist. Glücklich ist dieser, der sich freut, einen Dienst selbstlos erweisen zu können. Einer hat euch beleidigt, ihr zieht nicht mehr den Hut vor ihm, verweigert ihm den Händedruck; ihr könnt ihm auch die Hand geben, ohne daß diese Handlung eine Begrüßung ist. Ihr könnt vor ihm den Hut ziehen, ohne dadurch eine Ehrerbietung auszudrücken. Gewöhnlich ziehen wir den Hut vor Größeren und möchten sie dadurch auf diskrete Weise erinnern: „Vergiß nicht, mir beim Aufstieg behilflich zu sein!“ Im Meer gibt es einen teuflischen Fisch, der alles grüßt, was ihm über den Weg läuft. Der Mensch faßt den anderen an der Hand an. Warum? Diese teuflischen Finger der menschlichen Hand sagen viel; z.B. der kleine Finger: „Kannst du mir Geld geben? Ich muß Handel treiben. Ich habe viel verloren, man hat mich beraubt, kannst du mir helfen?“ Der Ringfinger redet: „Ich will Künstlerruhm und Wissen erwerben!“ Der Mittelfinger fordert: „Ich will Rechte und Vorrechte!“ Der Zeigefinger näselt: „Ich erwarte Hochachtung und Verehrung!“ Der Daumen spricht: „Ich will Macht und Fähigkeiten!“ Der Gegrüßte wird es ihnen, wenn er will und die Möglichkeit dazu hat, geben. So gehen sie zu zweit, danach auch zu dritt, bilden eine Gesellschaft, finden dennoch nicht das, was sie suchen. Schließlich kommt Jesus hinzu und sagt: „Das, was ihr sucht -Reichtum, Kraft, Wissen und Güte- das alles kann Ich euch geben. Es gibt keinen unter euch, der meinetwegen Vater und Mutter verlassen hat, um dafür ein hundertmal reicheres Leben zu beginnen!“ Das ist der Mensch, der es versteht, uns die Hand zu reichen, der uns sowohl zu Reichtum, als auch zu Kraft, Wissen und Güte verhelfen kann. Aber die Leute sagten: „Weg mit Ihm, kreuzigt Ihn!“; wobei noch Pilatus anmerkte: „Ihr verliert Ihn!“ Auch heute ist Jesus unter uns, und ich verspreche euch: Das ist der Mensch, den ihr sucht, der Mensch, dem es allein möglich ist, Ruhe in euer Herz zu bringen. Der, der euch Verstand, Gesundheit und einen Platz in der Gesellschaft geben kann. Der, der euch erheben, den Weg zeigen, euch einen klaren Verstand geben kann. Aber ihr sagt, daran zweifelnd: „Zeigt Ihn uns, damit wir Ihn sehen!“ - Ich werde euch ein Gleichnis anführen: Eine Nacht geht aus der Ferne ein Mensch mit einer kleinen Kerze auf euch zu, ich sage euch: Das ist der Mensch, der euch Licht bringt! Ihr seht zwar die Kerze, aber nicht den Menschen, doch ihr werdet ihn sehen. Wann? Wenn die Sonne aufgegangen ist. Sucht selbst dieses Licht, das dieser Mensch euch bringen will - es wird euch helfen, den Weg zu finden, den ihr gehen müßt. So verhält es sich mit dem Sehen. Ich gebe euch ein noch klareres Gleichnis. Stellt euch vor, daß ich euch in ein prächtiges, aber dunkles Empfangszimmer führe, und sage: „Dieser Raum ist wunderbar verziert, ungeheure Reichtümer befinden sich hier und dort, an jener Ecke gibt es das und das, an der anderen sogar das und das!“ - „Kann sein. Wer weiß? Ich jedenfalls, sehe nichts!“, antwortet ihr. Wenn ich aber eine kleine Kerze bringe, fangen die neben ihr stehenden Gegenstände an, sich abzuzeichnen; wenn ich noch eine bringe, zeichnen sich die Gegenstände noch klarer ab; wenn die Zahl der Kerzen erhöht wird, wird das Zimmer heller und heller. Wenn eine Glühbirne aufleuchtet, werden die Gegenstände klar erkennbar, und wenn das Tageslicht eindringt, sieht man alles. Die Welt ist wie dieses Zimmer und jeder von uns muß ein Lichtträger sein, eine Kerze bringen, und wenn wir alle mit unseren Kerzen eintreten, und sie nebeneinander stellen, und so das Licht verstärken, werden wir sehr viel sehen. Eure Gehirne - das sind die Kerzen. Ich mag Menschen nicht, die erloschene Kerzen tragen, sondern die, deren Kerze einen solch hellen Schein wirft, wie die am Karfreitag. Jeder von uns muß eine angezündete Kerze sein. Der aufopferungsvolle, liebende, gute Mensch ist eine angezündete Kerze. Es ist ein großer Fehler, eine erloschene Kerze zu sein. Ihr fragt: „Was soll man tun?“ - Ihr müßt füreinander beten, euren Freunden gute Gedanken senden, für sie beten, den Wunsch haben, daß sie gesegnet werden, und Der Herr wird auch euch segnen, indem Er sie segnet. Warum wir beten sollten? Im Sommer des Jahres 1899 herrschte im Gebiet von Novi Pasar eine große Dürre; die ringsum wohnenden Türken aus 39 Dörfern versammelten sich und baten um Regen. Und es fiel Regen. Die Bulgaren aber sagten sich: „Wenn Gott ihnen Regen schickt, wird Er ihn auch zu uns schicken!“ Aber über ihren Dörfern fiel kein Regen, und ihre Rinder magerten vor Hunger ab. Wenn die Leute beten, bete auch du: Auch du mußt persönlich dein Gesuch einreichen; Der Herr wird für dich keine besondere Rubrik einrichten, wenn du nicht selbst betest. Das Gebet hat eine große Macht und deshalb muß der moderne Mensch ein Mensch des Gebetes sein: Durch das Gebet, wird unser Verstand und unser Herz vorbereitet. Nicht um unserer selbst sollen wir beten - das wäre selbstsüchtig. Ich will mich jetzt nicht mit dem Verstand des Menschen beschäftigen, mein Wunsch ist, über das Herz des Menschen zu reden, weil sich alles Übel im Herzen versteckt hält. Der Herr sagt: „Mein Sohn, gib mir dein Herz!“ Wir müssen mit einer Reinigung anfangen, die der des Frühjahres gleicht - die Fenster öffnen und das Innere reinigen. Wir alle stöhnen unter einer Bürde; überall gibt es Disharmonie, auch zwischen Mann und Frau, die es nicht schaffen, sich einig zu sein; das Haus teilen sie, das Geld teilen sie untereinander, doch die Frau ist damit unzufrieden, daß der Mann das Geld verwaltet. Ob es nun der Mann oder die Frau verwaltet, ist gleichgültig. Verständigt euch darüber, wer Kassierer wird. Sie streiten sich darüber, wer an der Spitze stehen soll, ob im Haus gegackert oder gekräht werden soll. Was für Hühner! Solche Sachen sind im Leben völlig unwichtig! - Wie gesagt, andere Dinge sind wichtig.
Jesus ist gekommen und arbeitet, denn wenn das Licht kommt, kommt es allmählich, still und leise. Er kommt nicht wie ein Donnerschlag, so wie es manche erwarten. Auch sowas kann kommen, aber es ist nicht Jesus. Als der Prophet Elias in die Wüste ging, um sich dem Fasten und Beten hinzugeben, kam Sturm und Feuer auf, so daß er seine Augen schützen mußte; doch Gott war nicht in Sturm und Feuersbrunst, sondern in der leisen Stimme, die mit ihm redete. Der Herr befindet sich nicht in euren Leiden, in eurer Kraft und eurem Wissen. Sondern? In der Liebe! Wenn ihr liebt, ist Er in euch. Liebt ihr nicht, ist Er weit weg; deshalb, müßt ihr lieben - so ist das Gesetz. Oftmals lieben wir nicht, sondern erwarten, daß die anderen uns lieben. Das bedeutet, vor einem Ofen zu sitzen und auf jemanden zu warten, der Holz holt, damit wir es dann schön warm haben. Nein, wir selbst, wir müssen diesen Brennstoff haben, den dann auch andere mitbenutzen können!
Wir, die Jesus folgen, der uns genug Kraft gegeben hat, müssen Ihm endlich erlauben, in uns einzutreten. Dieser Mensch steht euch zur Verfügung: Ihr könnt Ihn empfangen oder kreuzigen, Ihn einlassen oder Ihm sagen: „Wir wollen Dich nicht!“ - Das ist die Entscheidung, die ihr treffen müßt. Wenn ihr sagt: „Laßt Ihn rein, er ist doch unser Herr!“, habt ihr die Lösung gefunden, und der Segen wird kommen. Dann werden sich die Worte der Heiligen Schrift erfüllen: „Ich und Mein Vater werden kommen, um eine Wohnung in euch zu bauen“. Dann entzündet sich das Licht in uns, und wir alle werden uns versöhnen.
(Gehalten am 16. März 1914 in Sofia)
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